Grenzenlose Cyberwelt, was fehlt?

Ob Leute wie wir auf der Tagung vorkommen, war so ein „muss ich mal drauf achten“-Ding. Zugegeben: es geht um digitale *Spaltungen*, und dass da Leute nicht unbedingt das Hauptthema sind, die ihr Leben im Netz zubringen, ist an sich einleuchtend. Es geht ja eher um Leute, die eben *exkludiert* sind und an welchen Faktoren sowas hängt. Aber auch das wurde meiner Ansicht nach nur angekratzt, bzw. wird die Frage zu schnell abgehakt. Drei Sachen.

Zum einen: Der Geist eines „Netzzugang ist per se für alle gut“ schwebt während einiger Vorträge über den Wassern. Man hat einen Prozentsatz von Nicht-Usern, und die sind das Problem. Meinetwegen 50% der Hauptschüler haben Netzzugang, das heisst dann, dass sie ein paar mal pro Woche online sind, offenbar nen Browser bedienen können usw, die sind damit nicht mehr das Problem, die sind inkludiert. Das Problem sind, bzw. haben die, die eben nichts online machen. Ein Depp, der das Netz nutzt, bleibt aber ein Depp, egal, ob er nun vor nem Rechner, vor nem Fernseher oder vor einer Waschmaschine sitzt und dabei Knöpfchen drückt. Denn *was* die Leute dann im Netz machen, wird gern ausgeblendet bzw. Hauptsache, sie machen *irgendwas*, dabei wird sich dann schon was lernen lassen, und wenn es vage Medienkompetenz ist. Man konzentriert sich – in meinen Augen verfehlterweise – auf eine kleine Zahl von Nichtnutzern, weil die noch „außen vor“ sind. Ob denen das Netz überhaupt was bringt, ist fragwürdig, ob das Netz einem großen Teil der als inkludiert geltenden User was „bringt“, ist imo noch fragwürdiger.

Das nächste: Internet wird vor allem als Instrument zur RL-Bewältigung verstanden, nicht oder kaum als Sozialraum für sich. Hauptschüler eignen sich das Vokabular an, um sich im RL zu inszenieren, um Frauen fürs RL aufzureißen usw., bildungsnähere Schichten erschließen sich neue Handlungsmöglichkeiten – Bildung, Partizipation, Zugang zu Information, Ämtern und Dienstleistungen, die im RL Nutzen bringen. Information/digitale Güter werden in verschiedene Formen von Kapital überführt usw; die Studien zum Nutzungsverhalten sind vor allem für die Verwertung von Arbeitskraft interessant oder für die Zielgruppenanalyse der Werbung. Es ist kein Wunder, dass ich das Gefühl hab, die Leute reden über ein anderes Netz wie ich. Das Netz ist ein Sozialraum für sich, viel Netzkommunikation ist selbstreferentiell aufs Netz bezogen, ohne direkte Verwertbarkeitsabsicht aufs RL. Dieser Aspekt fällt unter den Tisch. Und unterscheidet meiner Ansicht nach aber den reinen „Konsumenten“ vom Netisen.

Zuletzt: Die Debatte scheint mir einmal sehr stark ökonomisiert, das aber irgendwie unvollständig bzw. inkonsequent (so sehr ich es per se eh unvollständig finde, Netznutzung aus dieser rein ökonomisierten Perspektive zu betrachten). „Sinnvolle“ Netznutzung besteht in der berufs- und schulbezogenen Kommunikation und Information, alles andere wird, siehe oben, noch als Aneignung von Medienkompetenz verstanden, vergleiche auch das gelegentliche „Verteidigen“ von Spielen nach dem Motto „man glaubts nicht, aber da kann man auch viel lernen“.
Meine These: wenn Netznutzung unter ökonomisierten Gesichtspunklten betrachtet werden soll, dann ist ein zentraler Punkt die Ausbildung von Connections, und um die Fachtermini ohne nähere Kenntnis derselben zu bemühen, die Ausbildung schwacher Bindungen – themenbezogene Kontakte, die mittelfristig ein Netzwerk bilden, das sich auch ökonomisch verwerten läßt. Das macht der klassische bildungsferne Jugendliche mit zweimal in der Woche Chatnutzung nicht. Vermute ich jedenfalls.
Ich sträube mich mitnichten dagegen, dass es einen Vorteil darstellt, wenn jemand weiss, dass er meinetwegen in der Wikipedia nach Infos gucken kann. Das *spezifische* Potential des Internet wird dabei meiner Ansicht nach aber nicht zur Grundlage eines erweiterten Handlungsspielraums, weil im Lexikon nachschlagen kann man auch offline.

Das wird jetzt wieder alles sehr lang, und ich halte es empirisch für *sehr* schwer operationalisierbar, will man wirklich nicht nur „Nutzung“, sondern eben auch Nutzungsweisen untersuchen, hinzu kommt, dass all diese Untersuchungen sehr stark von den Nutzungsweisen der Forscher geprägt sind, ich hatte während mehrerer Vorträge das Gefühl, mehr über das Netznutzungsverhalten der Referenten zu erfahren als über das der Forschungszielgruppe. Würde bei mir vermutlich genauso aussehen, wenn ich ne Studie machen würde.

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