Blogwochen: Wie privat darfs sein, und wie privat wär nötig?

Wird ne Konstante: irgendwas ploppt in den Blogwochen hoch und ich ärgere mich. Im konkreten Fall, weil ich irgendwann dachte, jupp, wenns soweit ist, zum Thema „Privates und Öffentliches – Welche Themen wir bewusst aus unseren Blogs heraushalten“ zu tickern, dann hol ich mal aus. Zack, Stresswochen, ging unter. Aber das Thema liegt mir als Klemmspack0 am Herzen, also, Privates, und ich fang mal mit einer starken provokanten These an:

Wer in den Blogwochen rumspaziert, wirkt auf mich in der Regel als mehrfachprivilegierter weißer deutscher alter Mann, und damit einher gehen Möglichkeiten, die andere nicht haben. Und wenn man piesacken will, dann hängt da sogar ein wenig Verantwortung dran.

YMMV und vorangeschickt, ich seh mich da im Guten wie im Schlechten nicht als das Maß aller Dinge. Persönlich erlebe ich relevanten gesellschaftlichen Impact oft bei erheblich privaten Themen, naturgemäß denen, über die man eben *nicht* spricht. Und ich fühle durchaus eine gewisse Verpflichtung, genau über diese öffentlich zu reden, wenn man das kann, denn die meisten könnens nicht.

Wenn ich mich über die Widrigkeiten beim Eingrenzen eines Hardwarefehlers in der Heim-IT echauffiere und mir Leute feedbacken, sowohl die Frustration als auch den abgrundtiefen Haß auf Nvidia nachfühlen zu können, ist das fein, spielt hingegen kosmisch betrachtet eine eher kleine Rolle.

Es klang schon bei den 15 Minuten Ruhm an: das spannende an Blog ist meiner Ansicht nach, dass man Möglichkeiten schafft, Bedeutsames entstehen zu lassen. Bedeutsam mag sein, wenn man „Denkprozesse anstößt“, wie Dirk sich das leider etwas unkonkret wünscht. Wenn der von mir ansonsten durchaus geschätzte Benedikt dann von Kauf- und Konsumentscheidungen auf Webstandards kommt, frag ich mich schon, ob das der Footprint ist, den man auf der Welt zurücklassen will. Usw.

Nicht von mir, aber ich begrüße ausdrücklich

Nicht von mir, aber ich begrüße ausdrücklich

Folgendes bitte nicht als ein „guckt her, was ich für ein geiler Typ bin“ verstehen, vielleicht bin ich einer, aber darum gehts mir nicht, sondern schlicht um möglichst anschauliche Beispiele, über die ich schreiben kann. Wenn mir wann auch immer rückgemeldet wurde, ich hätte wo ganz konkret und persönlich jemandem sehr geholfen, eine neue Perspektive geschaffen, whatever, dann gings um extremst private und sensible Themen. Vor auch schon bald zehn Jahren outete ich mich als trockener Süchtiger, letztes Jahr ergab sich draus, für ein anarchistisches Zine einen Artikel zum Thema Suchtselbsthilfe in anarchistischem Kontext zu schreiben. Feedback: alle Inputs fielen komplett anders als erwartet aus, gaben vielen Leuten Stoff zum Nachdenken und halfen einigen, die ersten notwendigen Schritte zu gehen.

Ich tat mich lange schwer, ein offensives „Ich hab Depressionen und lass mich dazu behandeln“ ins Netz zu schreiben (hihi, wenn ich mich recht erinnere, war da ein Therapietagebuch-Projekt der Hintergrund, dass ich vor ewigen Zeiten einen Hidden Service im Tor-Netzwerk aufsetzte, und nein, HS kriegte ich an den Start, das Projekt wurde indessen nichts). Es musste ein feiner Arbeitgeber und eine Blutspendeaktion kommen, damit ichs dann tat, aber ich schätze anhand der Sertralin-Suchanfragentreffer im Blog immer noch gern gelegentlich, wieviel Liter Blutspende ich pro Monat vielleicht triggere. Davon ab viel Feedback (naturgemäß nichtöffentlich) der Art „bei mir auch, und toll, dass jemand drüber spricht.“

Jedenfalls, das Private ist natürlich politisch, das wissen wir seit 2011. Mir ist vollkommen klar, dass es die Welt ein klein wenig besser macht, wenn man die drölfzigste Anleitung zum Thema „wie lade ich Filmwarez von Streamingplattformen?“ schreibt, aber seien wir ehrlich, die kann man sonstwo lesen. Ansonsten gilt, dass das Internet nicht dumm macht, sondern normal (auch schon seit 2008) und diese Normalitätsherstellung ist wichtig und insbesondere wichtiger bei „privaten“ Themen als bei Fragen wie „Sollte ich Serifen im Blogheader nutzen?“

Erzähl!

Erzähl!

Nochmal: Ich will da nichts und niemanden bashen, mich irritiert nur dieses pauschale „privates eher nein (und was soll der Arbeitgeber denken und Ohgott, Dahatenschutz!!1) sehr und frage mich, wie bewusst es allen Lesenden ist, dass genau dieses ausgeblendete Private oft genug das ist, was dazu taugt, das Leben anderer Menschen ganz konkret und möglicherweise gar deutlich zum Besseren zu verändern.

Der von mir ebenfalls sehr geschätzte ix wirft, ha, Schicksal! grade auch ein sehr lakonisches Zitat ab, das im Kontext natürlich dreinschlägt wie ein Schwert: wir sind eine Nische für Bildungsbürger*, die Gesellschaftsprägung findet woanders statt. ich ergänze um ein „Dort wird mit sehr privaten Themen eine überaus diskutable Normalität effizient in die Hirne gepumpt.“ Man darf sich natürlich überlegen, ob man da Gegengewicht sein will oder nicht.

TL,DR: Wers sich qua Privilegien erlauben kann: haut raus. Es ist wichtig und spielt ne Rolle.

*für variable Werte von Bildung. Ich meins weniger spitz denn demütig.

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