4chan-Roundup: Chaoten, Aktivisten und ein Nachtrag zu Zensursula und über neuntausend Kinderschänder

Heute las ich mal wieder was über die 4chan-Chaoten, was mich dran erinnerte, dass eben diese Chaoten gelegentlich schon als subversive Streiter für alles mögliche, als Bürgerrechtsbewegung, als Polit- und Freiheitsaktivisten und wasweißichnoch bezeichnet wurden. Unter anderem auf dem letzten CCC-Congress, auf dem 4chan gar eine Runde Hacker-Jeopardy spendiert bekam, ich mich aber gelegentlich fragte, wissen die alle, wovon die Rede ist? Mein Eindruck grade von der „öffentlicheren“ Wahrnehmung: Wenn Anonymous grade mal wieder Scientology plattmachen, sind sie die Helden, wenn sie was anderes machen, die Chaoten, und wahrscheinlich weiss das halbe Netz nicht, dass sie an sich dieselben Leute oder zumindest dieselbe Ecke vom Internetz sind. Diese Memschleuder, achja, dawarwas, Lolcats, Guy Fawkes, und so weiter. Da passiert aber einiges mehr, das fängt mit dem heutigen Twitterplätten mit Affenpenissen an und hört – das ist eine wilde Theorie meinerseits – damit auf, dass Leute ernstlich glauben, wes gibt einen weltweit operierenden Kinderfickerring mit über 9.000 Mitgliedern. Manchmal denk ich, das ist Zensursulas Quelle, die sie immer verschweigt.

Von vorne: Intern spricht von den „Web2.0-Chaoten“, eine Bezeichnung, die mir an sich eigentlich gut gefällt, wobei ich „Chaot“ auch nicht wirklich negativ konnotiere. Wie gesagt – machen sie grade nicht Scientology begrüßenswerterweise platt, lächerlich oder beides, dann suchen sie eben irgendwelche Kinderboards heim oder vertreiben sich sonstwie auf mehr oder weniger geschmackvolle Weise die Zeit. Dabei entstehen so Sachen wie die Lolcats, schöne Provokationen wie tl;dr und gefühlte 90% aller Trollpostvorlagen, die das Netz heimsuchen. Kurz gesagt entsteht Internetkultur, und dazu auch einiger Ärger, weil Getrolle immer Ärger macht zum einen, aber zum anderen auch, weil manche Leute manchen Kram nicht kapieren oder einiges einfach nicht wissen wollten. Was früher rotten.com war, sind heute halt die diversen /b/-Channels und *dort* kommt Fawkes her und Chanology und die Lolcats und vieles andere, was dem Restnetz nicht wirklich zugemutet werden will oder kann. Wenn man mich fragt, was jetzt das moralisch streitbarere Vermächtnis an die Welt ist, die rotten.com-Leichenbilder oder Calvin&Hobbes-Porno, dann bin ich unentschlossen. In den Imageboards gibts beides, in größerer Häufung. Kurz den Bogen zurück: wer Anonymous feiert (und seinen „We are Legion“-Spruch bringen grade öfter mal Leute, die ich nicht grade mit dem Rest der Anonymous-Geschichten assoziiert sehe), weiß vielleicht nicht, dass das ein wenig mehr ist, als er kennt und sich grade zu Eigen macht, und dass die Motive nicht unbedingt so edel und erhaben sind, wie es gelegentlich scheint (was ich wiederum sympathisch finde, btw. Ich denke auch, Twitter mit ein paar tausend Accounts und Tweets über das Gorillagenital zu fluten, ist eine Gute Sache(tm).) Aber BTT.

Im Rahmen der KiPo-Debatte in den USA verlas die US-Talkerin Ophra Winfrey in einer ihrer Shows ein „Bekennerpost“, in dem die Existenz eines aggressiven, global via Netz operierenden Kinderschänderrings behauptet wurde, mit „over 9.000 Penisses“. Das Ganze war ein Hoax, der eben in den Imageboards entstand und auf dem „over 9.000!“-Mem basiert. Nun sind wir es ja alle gewohnt, dass nach irgendwelchen Ereignissen irgendwelche Idioten Experten irgendwelchen Kram aus dem Netz verlesen, von dem sie nicht wissen, was es ist. Das „Over 9000“-Trolling wurde in den USA recht legendär (obgleich es einer Wikipedia-Löschung zum Opfer fiel, 4chan und Konsorten trollen auch Wikipedia sehr gerne), in der deutschen Zensursula-Diskussion ist es mir noch nicht über den Weg gelaufen und manchmal will ich glauben, dass Zensursula auch drauf reingefallen ist und es bis heute noch nicht geblickt hat (oder es ihr inzwischen zwar erklärt wurde, aber sie sich nicht traut, zurückzurudern).

Ich finde das alles eigentlich irgendwie erfreulich. Es hat was diskordisches, es hat was subversives, es ist zynisch, böse und gerade der heutigen Zeit angemessen, und natürlich ist es witzig, völlig geschmacklos und geht den richtigen Leuten auf die Nerven. Oder, wie ich in einer Mail schrieb:

Bei deinem schoenen Satz ueber den „vermeintlich so erhebenden und erhabenen Zynismus“ neige ich persoenlich dazu, das „vermeintlich“ zu streichen. Vielleicht erhebe ich da grade zu sehr, aber ich sehe keinen grossen Sprung zwischen dem vermeintlich niedrig-misantrophischen Zynismus einer Jugendkultur(?) und einem „Es ist alles eitel, und Haschen nach Wind“. Und obgleich ich nach wie vor schaue, dass ich in den diversen netzaktivistischen Kontexten mein Scherflein beitrage, wenns was gegen die steigende Verbloedung zu tun gibt, halte ich die Ablehnung „ehrenvoller“ Motive und die Konzentration auf Lulz und die permanente Weiterakkumulation japanischer Pornografie für eine doch sehr reine und erhabene Sache.

Insofern, Bogen zurück: mir gefällt, dass da heute bei Intern von den „Web2.0-Chaoten“ die Rede war. An sich besser, als wenn gelegentlich und mit mehr oder weniger ahnungsloser Begeisterung von einer Bürgerrechtsbewegung namens „Anonymous“ gesprochen wird. Zumindest den Epilepsieboard-Raid und YouTube Porn Day hätte man aus der .en-Wiki abschreiben können, um das Bild ein wenig runder zu machen.

Zur Info nachgetragen: Ein Freund von mir schreibt seit einiger Zeit eine Diplomarbeit über Imageboards, die ich immer mal wieder zu lesen bekam, was dazu führte, dass ich mich auf einmal auch ein wenig mehr mit Imageboards auseinandersetzte und wieder das Gefühl bekam, das tun viele nicht. Dass 4chan und Konsorten eher Orte mehr oder weniger kreativen Chaos sind, kam schon zu gulli:boardzeiten durch, wenn gelegentlich die einen oder anderen Imageboarder einfielen oder aber ein wenig imageboardähnliche Features (Stichwort Trollforum) angefragt wurden. Wir ließen das damals bleiben, im Nachhinein frage ich mich manchmal, was rausgekommen wäre.

Noch mehr Info nachgetragen: die besagte Diplomarbeit liegt hier und ist durchaus lesenswert.

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