Gül, Atatürk und die Linke…

…das ist grade etwas spannend. Zum einen,klar, ich verfolgs auch gespannt mit, wie die Reaktionen in der Türkei ausfallen, nun das Gül gewählt wurde. Ich hab ein ungutes Gefühl und ich oute mich mal als offenbar untypischer Linker, nicht, weil ich denke, dass das Militär putscht, sondern weil ich denke, dass es das nicht tut und das ein Fehler sein könnte.

Dass man sich bei der Frage islamistischer oder militaristischer Staat als Linker nicht leicht tut, ist mir klar, ich tus auch nicht. Dafür hat mich aber heute bei der Lektüre sowohl der taz als auch der Jungen Welt überrascht, wie froh alle über den „Sieg der Demokratie“ und das offenbar entspannte Militär in der Türkei sind. Ich hab da, wie gesagt, ein ungutes Gefühl. Grade Erdogan hätte sich keinen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn er nach dem letzten Wahlausgang ein Zeichen gesetzt hätte, dass er hinter dem laizistischen Kurs in der Türkei steht und eben jemand *anderes* als Gül nominiert. Ich frag mich, warum nicht, wenn ansonsten so groß das Versöhner-Image gepflegt wird.

Und was mich am meisten wundert, v.A. in der taz: die geringe Wertschätzung, die Atatürk genießt. Wäre ich Türke, ich wär Kemalist. Angesichts dessen, dass ich auf Nationalitäten wenig wert lege, würd ich sogar soweit gehen zu sagen, ich *bin* Kemalist. Was der Mann gemacht hat, ist in meinen Augen gut und richtig, und bewundernswert, und es wundert mich, dass grade die „linke“ Presse da einen komischen Beissreflex pflegt dahingehend, dass man einen Säkularisierer und Demokratisierer disst, um ein verdammt religiöses Regime toll zu finden. Klar, die AKP wurde gewählt. Aber ernsthaft – sich *darüber* freuen? Ich tus nicht.

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12 Responses to Gül, Atatürk und die Linke…

  1. Oliver sagt:

    Oberflächlichkeit eben, bis dato habe ich mich, außer mit noch früherer Geschichte oder dem Islam selbst, nie en detail mit der Türkei beschäftigt oder deren politischem System. So wie ich das hier lese und auch in den nun konsumierten Artikeln scheints da die Begrifflichkeit zu machen, nicht aber das Handeln.

  2. Greg sagt:

    Noch hat er nicht wirklich Schaden angerichtet. Wenn sich das abzeichnet, sollte muss das Militär eingreifen. Bis dahin finde ich es schon richtig, dass die demokratische Wahl erstmal geachtet wird.

  3. mike sagt:

    Ähem, viel Ack zur Kolportation via Taz und Junge Welt, das hat mir auch eine nicht geringe Menge Fragezeichen generiert, aber in der Taz gabs auch, wenn ich mich jetzt nicht ganz falsch erinner‘ auf der „Meinung“-Seite differenziertere Äusserungen zum Thema.

  4. Heide sagt:

    Die AKP kann man meiner Ansich nach, am ehesten mit den christlichen Parteien in Deutschland vergleichen. Islamisch ja, Islamistisch nein! Die Frage ist: Warum hätte man jemand anderes als Gül nominieren sollen? Nur weil eine undemokratische Einrichtung wie das Militär, die sich als Hüter des Staatsbildes ansieht, sich aber einer demokratischen Kontrolle versucht zu entziehen nicht passt?
    Die Regierung an der Spitze muss einem nicht gefallen. Das ist einer der Nachteile der Demokratie. Allerdings verlange ich auch nicht den Einsatz der Bundeswehr nur weil die CSU mit in der Bundesregierung sitzt.

  5. Greg sagt:

    Die Regierung an der Spitze muss einem nicht gefallen. Das ist einer der Nachteile der Demokratie. Allerdings verlange ich auch nicht den Einsatz der Bundeswehr nur weil die CSU mit in der Bundesregierung sitzt.

    Es geht nicht um gefallen oder nicht gefallen, sondern um die verfassungsmäßigen Grundsätze eines Staates. Würde die CSU (oder sonst wer) versuchen die Trennung zwischen Kirche und Staat abzuschaffen, so könnte die Bundeswehr da auch eingreifen – für genau solche Fälle gibt es das „Recht auf Widerstand“ (Artikel 20, Absatz 4).

  6. Heide sagt:

    1.) Kirche und Staat sind in Deutschland aber nicht so stark getrennt. Siehe Artikel 140 des Grundgesetz
    2.) Aus dem Artikel 20 leitet sich kein Bundeswehreinsatz im Innern ab. Um einem derartigen Verfassungsbruch wie der angenommenen Abschaffung der Trennung von Staat und Kirche entgegen zuwirken sind eine Reihe anderer Organe vorgelagert. Da wären zum Beispiel Verfassungsgericht oder Verfassungsschutz. Selbst wenn eine Partei die erforderliche Zwei-Drittelmehrheit für eine Änderung des Grundgesetz in diese Richtung hätte, wäre derartigen Bestrebungen nichtig da sie den Artikel 4 (Glaubens-, Gewissens-, und Bekenntnisfreiheit) berühren würden und somit unzulässig wäre.

    Die AKP hat sich in den letzten Jahren nicht unbedingt als islamistische Partei erwiesen. Im Gegenteil. Sie war im Zuge der erwünschten EU-Mitgliedschaft demokratischer als so manche ihrer Vorgängerregierungen. Wieso die AKP so verdammt religiös ist, ist auch nicht immer klar ersichtlich. Ihrer ersten Regierungsperiode berief die AKP eine Reihe Frauen ins Kabinett die alle (wie gesetzlich vorgeschrieben) ohne Kopftuch zu ihrer Arbeit erschienen.
    Sorry aber da finde ich ein Militär das selbstständig, und offenbar ohne jegliche demokratische Kontrolle entscheidet wie der Staat auszusehen hat ,wesentlich bedenklicher.

  7. Greg sagt:

    Warum soll die Bundeswehr kein Recht auf Widerstand haben?

    Artikel 140 GG:

    Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

    Welcher Artikel sagt da jetzt was zur Trennung von Staat und Kirche?

  8. Heide sagt:

    Weil die Bundeswehr sich dem Grundgesetz unterzuordnen hat. Über Auslegung und Ausgestaltung desselben oder des Staates hat die Bundeswehr als Organisation nicht zu entscheiden. Artikel 20 würde ich auf das Widerstandsrecht des einzelnen beziehen.

    Artikel 137 von 1919:

    (3)Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

    Hier konnte sich die Kirche das Recht vom Staat schützen lassen innerhalb ihrer eigenen Organisation die entsprechenden Ämter nach eigenen Gutdünken zu verteilen.

    (6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

    Das Recht der Kirchen auf die Erhebung von Steuern die mit Unterstützung des Staates erhoben werden.

    Bei Wikipedia wird es noch etwas näher erläutert:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Trennung_von_Staat_und_Kirche#Verfassungsrechtliche_Lage_in_Deutschland

  9. Greg sagt:

    Das erste Zitat stellt für mich keine Vermischung von Kirche und Staat dar. Ein Akteur (Staat) erlaubt einem untergeordneten Akteur (Kirche) etwas. Dass der Staat dort nicht eingreift, zeigt meines Erachtens gerade dass die beiden getrennt sind. Die Kirche geht den Staat halt nichts an und umgekehrt.

    Das zweite Zitat trifft’s schon eher. Ich finde es auch nicht gut, dass es eine Kirchensteuer gibt. „Mitlgiedsbeiträge“ sollten die Kirchen m.E. selber erheben und kassieren. Trotzdem würde ich da nicht von einer Verflechtung sprechen.

    Zum Bundeswehreinsatz: Jeder, nicht nur die Bundeswehr, hat sich dem GG unterzuordnen. Es ist mir auch klar, dass erstmal andere Instanzen sich darum kümmern müssen. Das steht ja auch explizit so im GG. Wenn das aber scheitert, dann darf sich das Militär da imho auch drum „kümmern“. Dass das nicht deren eigentliche Aufgabe ist, ist klar. Wenn aber jemand die Verfassung und damit den Staat „angreift“, dann wäre mir eine Intervention der Bundeswehr mehr als recht. Wenn man sich eine mächtige, radikale Religionsgemeinschaft vorstellt, die die politischen Mittel dazu hat, den Staat der Religion unterzuordnen/einzuverleiben, dann wüsste ich nicht, wer da sonst gegen vorgehen könnte (abgesehen vom Verfassungsgericht, Bundespräsident, etc).

  10. Heide sagt:

    Dann nehme ich mal Artikel 7 des Grundgesetz in dem unter anderem der Religionsunterricht als „ordentliches Lehrfach“ festgeschrieben wird. Soweit ich weiss ist dies das einzige Schul-Fach das Verfassungsrang hat und somit noch über die Kulturhoheit der Länder erhoben wird.

    Das Problem das ich mit dem Militär in einem solchen Fall hätte, wäre die Frage wer diesem den Auftrag dazu erteilt? Im Fall der Türkei hat das Militär von sich aus entschieden zu putschen. Wo war hierbei die demokratische und/oder gesetzliche Legimitation?

  11. Greg sagt:

    Es gibt dabei keinen Auftrag, keine demokratische Legitimität. Ob das rechtmäßig war, entscheiden im nachhinein die Gerichte. Das ist beim Widerstand einzelner aber auch so. Den Oberbefehl über das Militär hat in Friedenszeiten der Verteidigungsminister, im Krieg die Kanzlerin, also so oder so die Regierung. Dass diese das Militär eher nicht damit beauftragen wird einen Staatsstreich gegen sich selber umzusetzen, setze ich mal voraus. Müsste es für soetwas einen Auftrag geben, könnte man dieses Recht komplett streichen, denn es dürfte praktisch nie ausgeübt werden.

    Religionsunterricht ist eine andere Geschichte. Das finde ich auch nicht gut, dass es das gibt. Man muss aber dazusagen, dass sich das auf Religion allgemein bezieht – nicht auf eine bestimmte, die als „richtig“ anerkannt wird. Der Gedanke dahinter ist wohl auch eher der, dass Religionen zur Allgemeinbildung gehören. Also soll da den Schülern keine Überzeugung eingetrichtert werden, sondern über Religionen informiert werden. Wem selbst das nicht passt, der kann entweder ein Ausgleichsfach (zB „Werte und Normen“) wählen oder eine der im GG auch erwähnten „bekenntnisfreien Schulen“ besuchen.

    Aber wie gesagt: diesen Punkt finde ich auch sehr fragwürdig. Wenn’s nach mir ginge, würde der Religionsunterricht abgeschafft werden.

  12. Korrupt sagt:

    Zum einen: ich find die deutsche Heuchelei auch nicht wirklich prickelnd, was die Trennung zwischen Staat und Kirche angeht, und ich mag natuerlich den Gedanken, dass da irgendwer mal den Leuten aufs Maul gibt und Fakten schafft. Konkret denk ich, dass das GG der Bundeswehr in einem vergleichbaren Fall in .de keine Handhabe gibt, weil die entsprechenden Kirchenprivilegien durchaus rechtlich festgeschrieben sind (wogegen man sein kann und wogegen ich bin).

    Zum zweiten: ich glaub, deswegen hab ich tuerkeitechnisch Sympathien fürs Militär. Ich weiss, das ist undemokratisch, aber so hey, da ist ne Institution, die drauf achtet, dass der Staat saekular bleibt, das hat was, das wuerd mir gefallen, und wenn die Bundeswehr mit Waffengewalt in die bayrischen Schulen eindringen wuerde und Kruzifixe abhaengen, nun, ich krieg nicht ne Erektion davon, aber ich bin nah dran.

    Zum dritten: ack zum Einwand wegen der taz, die ist da durchaus ausgewogen und informativ gelegentlich, aber grade bei der, den ich in der Hand hatte, war so eine Timeline der tuerkischen Praesidenten und Atatürk wuerde nun denkbar Scheisse hingestellt. Was ich ehrlich gesagt nicht recht verstand.

    Und zum Schluss: das ist ne Geschichte, bei der bin ich herrlich unentschlossen und geniesse es, keine eindeutige Position beziehen zu muessen. Ich will hier keine „Hey, Militaer, mach die AKP platt“ propagieren und auch kein „Hurra, moderne islamische Regierung beim Beitrittskandidaten!“ jubeln. Ich halt die AKP und Erdogan fuer durchaus clever, Guel gar fuer saekular, die CHP fuer durchaus verknoechert und die Militaerputscherei fuer durchaus problematisch. ich bin im gegenteil von mir selber ueberrascht, warum ich dem Gedanken in der Tuerkei durchaus einen zweiten oder dritten Gedanken einraeumen muss.

    Schaun wir mal. Oktober sind wir ja in Istanbul :)

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