Herr Sonneborn geht nach Brüssel, eine Kauf- und Leseempfehlung

Sehr gutes Buch: Herr Sonneborn geht nach Brüssel.

Sehr gutes Buch: Herr Sonneborn geht nach Brüssel.

Ich weiß, die Rezis häufen sich, aber ich las das Buch letztens und muss es sehr weiterempfehlen, und nicht mal, weil es ein lustiges Buch eines hervorragenden Satirikers über die gern geschmähte EU und ihre Institutionen ist. Ich bin der festen Überzeugung, Sonneborn ist ein besserer Europäer als viele, die sich das entsprechende Mäntelchen gern umhängen, und weiter, dass er mehr für Europa und die europäische Einigung, die „europäischen Werte“, das Interesse und die Wertschätzung für den Einigungsprozess und nicht zuletzt für die Demokratie tut als ein Großteil seiner Amtskollegen.

Weglesen kann man den weitgehend chronologischen Bericht seiner ersten Amtszeit am Stück. Wer die „Berichte aus Brüssel“ aus der Titanic kennt, wird den Stil wiedererkennen, wobei mir die Buchform ausgearbeiteter und ausführlicher vorkommt, naheliegenderweise. Dem „Knackig und auf den Punkt“-Stil tut das keinen Abbruch. Es gibt viel zu erfahren, es gibt viel zu lachen und es gibt, das finde ich am erstaunlichsten und erfreulichsten, viel, was Mut macht in mehrerer Hinsicht. Ich drösel das mal auf, spoilere ein paar Pointen dabei, aber ich denke, das Buch sollte man ohnehin eher als Informationsquelle lesen und es bleiben wirklich viele andere für die Lektüre übrig.

Wollte ich das wissen?

Ich erlaube mir oft den Luxus zu glauben, dass viele Leute nicht dumm und durchaus auch guten Willens sind. Das gilt auch für Akteure aus der Politik, auch der europäischen. Gelegentliche „Das darf doch nicht wahr sein“-Erkenntnisse verderben mir das gelegentlich, aber die einleitende rhetorische Frage beantworte ich dann doch mit „ja“. Beispielsweise wenn ich lese, dass die 3%-Stabilitätsklausel, mit der diverse Staaten zu ruinöser Austeritätspolitik geprügelt wurden, auf den Wunsch Mitterrands zurückgeht, irgendwas Einfaches entgegnen zu können, wenn Ministerien Geld von ihm wollen. Man habe sich „…die Zahl von drei Prozent in weniger als einer Stunde ausgedacht. Sie wurde auf einer Ecke des Schreibtischs geboren, ohne jegliche theoretische Reflexion… Drei Prozent? Das ist eine gute Zahl! Eine Zahl, die die Epochen überdauert hat, das ließ an die heilige Dreifaltigkeit denken. Nehmen wir doch drei Prozent!“.

Oder eines der Beispiele für die „Lobbyisten schreiben die Gesetzesentwürfe“ – Geschichten. Am Rande wird erzählt, dass die CSU ein Gesetz in den Landwirtschaftsausschuss eingebracht hat, das dem Handel das Überschreiten gesetzlicher Normen für Umwelt- und Qualitätsstandards verbietet. „Mehr Bio als der Mindeststandard“ sei nicht erlaubt, und eingebracht hat es ein Albert Deß von der CSU, und so sieht seine Homepage aus:

Willkommen bei Albert Dess.

Willkommen bei Albert Dess.

Oder die Geschichte seiner Rede, in der u.a. die witwensichere Endlagerung der Kanzleraltlast Kohl konstatiert wird und die Forderung aufgestellt wird, dass Deutschland nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen soll als das Mittelmeer. Ich kann mich gut an die allgemeine Entrüstung im Blätterwald erinnern, aber hier las ich zum ersten Mal, dass ein EU-Parlamentarier mal nachgehört hat, welche Inhalte seiner Rede wie in welche andere Sprachen übersetzt wurden. Ich kann mir vorstellen, dass entsprechende Statements in der Regel verschriftlicht vorliegen, aber nun. Die Frage, wer in Europa eigentlich Oettinger versteht, scheint mir dennoch auch unironisch durchgehend berechtigt. Im Übrigen auch die Frage, ob Herbert Reul ein Vollidiot ist, aber da will ich nicht weiter spoilern.

Zu guter Letzt: Es erstaunt sehr, mit welcher Energie und welchem Aufwand in einem ansonsten chronisch überlasteten Parlament von deutscher Seite daran gearbeitet wird, Sperrklauseln für die EU-Wahl einzuführen.

Ist sowas witzig?

Soll man über Leute lachen, die ganz offenkundig Teil des Problems sind? Wenn Sonneborn seinem Lieblingspolen, dem frauenhassenden Monarchisten Korwin-Mikke „Ticket“ als „Ticket“ ins Deutsche übersetzt und sich ärgert, weil Korwin-Mikkes abschließendes „Ein Volk, ein Reich, ein Tickkät!“ einfach nicht so gut klingt, wie es „Ein Volk, ein Reich, ein Fahrschein!“ getan hätte, dann bin ich ganz bei ihm.

Wenn mehrfach Elmar Brockens (175 Kg konzentrierte CDU) Einschlafen auf doch relevanteren Zusamnmenkünften thematisiert wird, dann ist das richtig, wichtig, irgendwo zum Haareraufen, weil der Mann seinen Bertelsmann-Lobbystiefel offenbar durchaus effizient durchziehen kann, es ist aber auch witzig. Meeting auf einer Japan/Südkorea-Konferenz zu Dual Use, hochfitte Leute aus Fernost, und Brok knackt weg. Ich will Memes davon, solang die EU sie uns noch erlaubt. Und es mag auch etwas bitter sein, wenn Sonneborn irgendwann drüber grübelt, dass er im einzigen demokratisch legitimierten EU-Organ sitzt zwischen dem reichsten polnischen Politiker und dem leeren Sitz von Renato Soru, einem der reichsten Italiener und Gründer von Tiscali, der nur nie ins Parlament kommt, weil er demnächst eine Haftstrafe füer Steuerhinterziehung antreten soll.

Der Running Gag mit NPD-Voigt, den er regelmäßig mit „Na, Voigt, immer noch in der Politik?“ begrüßt und worauf er ebenso regelmäßig lahme Erwiderungen bekommt – erst schien es mir ein wenig bemüht, unlustig, nichtssagend. Irgendwann hatte ich aber den Eindruck, Voigt versuche eigentlich immer, was schlagfertiges zu antworten und scheitere eben permanent dabei, und dann wars auch wieder gut.

Macht sowas Mut?

Es gibt ein paar Stellen im Buch, da schlucke ich etwas. Eher am Rande ergibt sich die Reise nach Armenien/Berg-Karabach/Arzach, und ich für meinen Teil muss gestehen, habe keine Ahnung vom Konflikt zwischen Arzach und Aserbaidschan (Himmel, ich las „Arzach“ zum ersten Mal). Und klar finden sich auch hier Pointen und Seitenhiebe, aber vor allem lese ich da den Wunsch, dass Europa dem gerecht wird, was von außen damit an Idealen verbunden wird (und was die EU auch gern an Idealen vor sich herträgt).

Ich bin ein großer Freund von „Es ist witzig“ ohne den Anspruch an Doppelbödigkeit, dem gern genommenen „Lachen, das im Hals steckenbleibt“ usw., womit sich die Hochkultur manchmal meint, ihre Humorpräferenzen adeln zu müssen. Sonneborn ist in seinem Buch Satiriker im besten Sinne, er ist witzig und er ist es auf vielfältige Art und Weise und ja, es bleibt einem gelegentlich im Hals stecken, es ist manchmal nicht ganz klar, ob man jetzt lachen soll oder wahlweise Alkoholismus oder bewaffneten Widerstand erwägen. Bei alledem bleibt Sonneborn aber wie eingangs bemerkt mehr Europäer als viele der Akteure, die im Buch auftauchen. Nur lässt er im Buch die entsprechenden Gedanken und Kritikpunkte von seiner europapolitischen Beraterin äußern.

Wenn er ansonsten selber seine „Abwechselnd mit Ja und Nein stimmen“-Linie und das finale Ziel einer EU aus Deutschland und einer Reihe unbedeutender Satellitenstaaten verfolgt: Wer die richtige und wichtige Kritik nicht kapiert, die damit höchst anschaulich vorgebracht wird, der will sie nicht kapieren. Im Übrigen überraschten mich die verschiedenen Episoden, in denen er tatsächlich konstruktiv in der Sache mit anderen zusammenarbeitet, wenns dann doch mal um die Wurst ging (und die Abgründe, die sich dabei auftun). Ich halte mich selber für einen Zyniker und dachte, ich erkenn einen, wenn ich ihn lese, aber was dort trotz aller berechtigter Frustrationen dann an Idealismus mobilisiert wird, ich ziehe meinen Hut.

Ich bleibe dabei: Sonneborn ist der beste Europäer, den wir im EU-Parlament haben können, ich bin sicher, er hat mehr für die europäischen Werte getan als die meisten, die ihn kritisieren und ich meine das vollkommen unironisch. Das Buch gibts bei Amazon (heute Affil-Link, aber im Partei-Shop sah ich es leider nicht) und sonstwo, 18 Ocken, 420 Seiten. Kauft es, lest es, und wählt Die Partei. Sie ist sehr gut.

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