Sibylle Berg, GRM

Grm. Weniger flauschig, wie es aussieht.

Grm. Weniger flauschig, wie es aussieht.

Es zu kaufen, war an sich ein Nobrainer, aber zusammen mit GRM kaufte ich auch „Willkommen in Night Vale“ und noch irgendwas, und es sagt was über mein Verhältnis zu Sybille Berg aus, dass ich erst mal alles andere las, bevor ich mich an GRM machte. Bei der Lektüre fiel mir eine Parallele zu Houellebecq auf: ich weiss immer schon vorher, dass es schmerzhaft wird, aber lese das nächste Buch trotzdem. Meine erste Begegnung war noch zu Unizeiten „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“, und ich erinnere mich, dass mich das Buch damals etwas verstört zurückließ.

Nachdem ich ein Durchleser bin, der Sachen gelegentlich schneller wegliest, als es ihm lieb ist, hats weiter auch was zu sagen, dass ich GRM ein paar mal weglegen musste. „Oh, Ruppsel wird ein Weichei auf seine alten Tage“, ich weiß nicht recht. ich musste ein paarmal an die von mir durchaus verehrte Frau Nerdinger denken, die sich irgendwann mal drastisch gegen Elendsporno und Dystopien gewandt hat und Visionen einforderte, auf die man hinarbeiten könne.

Nun also GRM, und wie kann ein Buch schlecht sein, in dem ein von mir ebenfalls durchaus verehrter Herr Urbach zum Schluss mit Dank bedacht wird? Das Buch ist gut, sprachlich wie inhaltlich, aber es tut eben weh beim Lesen und wieso „aber“, ich denke, genau das ist der Sinn der Übung. Vier Kinder sind die Hauptpersonen, eine Latte Nebenprotagonisten nehmen auch Gestalt an, und die Welt ist eben die Dystopie, die jegliche positiven Entwürfe zum drauf hinarbeiten missen lässt. Böswillig kann man sagen, eine recht linear fortgeschriebene, konsequente Fortentwicklung von Rechtsruck, Ökonomisierung, Überwachung und Spaltung plus erwartbare Effekte ökologischer und sozialer Kollapse, kurz, mehr von allem, was uns jetzt bereits ans Knie pisst.

Zwei kleinere Spoiler im Folgenden. Warum ich trotz der geteilten Ansicht zum Mangel an positiven Visionen an dem Buch schätze ist, dass es in Konsequenz vorführt, wo wir uns grade hinbewegen, und diesbezüglich ists an sich gut im Reigen der einschlägigen Klassiker aufgehoben. Man mags als Warnung lesen und verstehen, und in dem Kontext kann ich das Buch auch verdauen. Was mir wirklich zu schaffen macht: wie die aufscheinenden Gegenentwürfe dann doch vollkommen verpuffen. Der Schlenker zum Inhalt: vier Kindern wird mehr oder weniger – eher mehr, viel mehr – übel mitgespielt, wie man es an sich lesen will. Trotz größtmöglicher Verschiedenheiten finden sie sich zusammen und leben eine Zeitlang ein Ausreißerleben, dessen Ziele neben dem Überleben als solchem auch das Rachenehmen an einigen Akteuren vorherigen Leids umfasst. In dem Zug wird einmal der Großraum London mehr oder weniger chemisch kastriert und weiterhin die personensensible öffentliche Werbe-/Informationsinfrastruktur dahingehend gehackt, dass sie von den jeweils vorbeigehenden Leuten die jeweiligen Dossierinhalte der einschlägigen Überwacher ausspielt. Verordnete Vollspackeria, gewissermaßen, mit dem Ziel, die ganzen Schweinereien einschlägiger mächtiger Gruppen öffentlich zu machen. Beides bleibt auf bemerkenswert plausible Weise ohne weitere Auswirkung. Auf beängstigend plausible Weise, eigentlich – und nun weiß ich nicht, ob ich das dem Buch übelnehmen soll, denn dass nichts mehr irgendwas auch nur ein wenig bewegen, verändern, geschweige denn verbessern kann, das ist schon etwas tief geschlagen.

Ironischerweise hatte ich letztens den einen oder anderen älteren Doctorow gelesen und hatte die gelegentlich bemühten „die Hacker wendens zum Guten“-Handlungsstränge etwas im falschen Hals. Insofern geschieht mir GRM dann zum einen recht, zum anderen: hätte es zum Rest des Buches gepasst, wenn da der eine oder andere Knoten durchgehauen worden wäre, selbst wenns nicht zum ganzen Knäuel reichte? Ich weiss nicht, wahrscheinlich muss GRM genau so sein, wie es halt ist. Und ich hoff, dass es ne Warnung ist, denn als Zukuntsaussicht ists plausibler, als es mir lieb sein kann.

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