Moscheevereinsgeschichten: Anlässlich eines DITIB-Bauvorhabens in Wuppertal

Folgendes sind teils ältere Geschichten, vielleicht erweitern sie aber die Perspektive. Konkreter Anlass: in Wuppertal soll die DİTİB eine fette neue Moschee an der Gathe bauen, das autonome Zentrum dafür abgerissen werden, und ich halte das für eine sehr schlechte Idee.
Gründe und Hintergründe, wieso ich dazu zu schreiben müssen glaube:
– in den mittleren Nullerjahren bin ich sozialforschungsbedingt durch eine größere Menge der Stuttgarter Moscheen gezogen und hab mit Leuten gesprochen, und
– irgendwann deutlich später schrieb ich fürs Politikforum des gulli:board eine etwas längere Übersicht zu den größeren Dachverbänden, Hintergründen und nicht zuletzt den Einstellungen „ganz normaler“ Leute dort, weil die Debattenkultur zum Thema Islam zu der Zeit ein bisschen flamereduzierter und wissensbasierter werden sollte. Ich kriegte aus einigen muslimischen Ecken Lob und weiteren Input, aber das Board ist tot, der Text ist weg. Ein paar Jahre älter und weiser geworden, scheint mir der Versuch, was ähnliches in die aktuelle Debatte zu schmeißen, nicht verkehrt.

Fangen wir mit den problematischeren Fällen an, der ATIB und der IGMG. Das hilft auch durchaus bei der Einordnung der DİTİB früher und heute.

Die ATIB, früher ADÜTDF, ist einer der kleineren Verbände und steht den Grauen Wölfen bzw. der faschistischen türkischen MHP nahe, die inzwischen auch Koalitionspartnerin von Erdogans AKP ist. Fragt man dort, wird man sich natürlich ein Stück weit distanzieren, mein Eindruck damals wie heute ist, dass das wenig glaubwürdig ist und die Berührungsängste zu bzw. die Schnittmenge mit den üblichen Faschokreisen für sich sprechen. Natürlich wird sich dort niemand zum Wunsch nach der faschistischen Neustrukturierung der Gesellschaft bekennen (wobei, bei einschlägigen Veranstaltungen lag schon auch mal die türkische Fassung von „Mein Kampf“ aus), aber die Haltungen meinetwegen zu den Kurden, zu Aleviten, zum Massenmord an den Armeniern etc. werden für sich sprechen.

Recht lange betrachtete ich die ATIB als „politisch problematisch“ und die IGMG, die „Islamische Gemeinschaft Millî Görüş“ analog „religiös problematisch“ wegen ihrer gelinde gesagt konservativen religiösen Grundhaltung, den Verknüpfungen zur Muslimbrüderschaft und denen zu durchaus auch radikaleren islamistischen Gruppen. Das hat sich dahingehend relativiert, dass die IGMG in Bezug auf die Türkei inwischen durchaus „staatstragender“ geworden ist und in Teilen der AKP sehr nahesteht. Die IGMG ist vergleichsweise groß und natürlich mögen sie in den letzten Jahren Kreide gefressen haben, aber nun. Das in Kürze vorweg.

Nun zur DİTİB. Die aktuelle Diskussion dreht sich vor allem um die DİTİB als die von der türkischen Diyanet, dem „Amt für Religionsangelegenheiten“ gesteuerten Auslandsabteilung. Damit ist sie quasi das Sprachrohr des von Erdogan propagierten reaktionären, türkisch-nationalistischen Islam. Nun ist das faktisch korrekt, aber ohne die Vorgeschichte verpasst man ein paar wichtige Knackpunkte.

Die Diyanet wurde in den 1920ern von Kemal Atatürk himself gegründet, ironischerweise als ein Bollwerk gegen den konservativen Islam. Atatürk fuhr bei der Gründung der türkischen Republik einen Verwestlichungskurs, dessen Radikalität meines Erachtens nach heute kaum noch begriffen wird. In einem traditionell muslimischen Land wurde innerhalb kürzester Zeit westliches Recht, westliche Schrift, westliche Maßeinheiten und Kalender, westliche Kleidervorschriften (!) gegen traditionell vorherschende, muslimische Praxis eingerichtet und durchgesetzt. Die Diyanet wurde geschaffen als Instanz, die den Herrschaftsanspruch des säkularen Staats über die Religion zementierte. Ich sag mal so: was die üblichen AfDeppen mit der „Islamisierung des Abendlandes“ herbeifabulieren, sowas tatsächlich und mit umgekehrten Vorzeichen gemacht hat Atatürk vor hundert Jahren in der Türkei.

Als Nebenwirkung der ganzen Geschichte war die Diyanet und damit die DİTİB lange Zeit quasi Garant für einen säkularen Islam. Auch und grade während der Militärherrschaften in der Türkei, da das Militär traditionell kemalistisch war. Und nun zum eigentlichen Treppenwitz der ganzen Veranstaltung:
– ich habe mir nicht nur sporadisch, sondern regelmäßig in den einschlägigen Moscheevereinen sagen lassen, natürlich habe man sich der DİTİB angeschlossen. Nicht etwa, weil hier nur überzeugte Kemalisten oder staatstragende Türken zum Beten kämen, sondern weil das die beste Rückversicherung dagegen wäre, von Grauen Wölfen, Millî Görüş, Muslimbrüdern oder anderen radikalen Gruppen unterlaufen/übernommen zu werden. Und
– wer das nicht tat, lief eben gelegentlich in genau dieses Problem. ich hab den Namen vergessen, aber eine der größeren Herzeige-Moscheen im Südwesten wurde eben von ATIB/MHP/Grauen Wölfen unterwandert und es kam zur eigenartigen Situation, dass sie im Vorfeld für irgend einen Integrationspreis nominiert wurden, diesen auch gewannen und dann eben besagte „Mein Kampf“-Auslegeware schnell verschwinden musste, als diverse Politikprominenz zur Preisverleihung aufliefen, um die Zuwendung des Moscheeträgers zur FDGO und die dort stattfindende Förderung des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen zu würdigen.

Zusammenfassend: bis weit in die Nullerjahre war der Anschluss an die DİTİB eine Rückversicherung *gegen* fundamentalistische Übernahmeversuche. Sie war weiterhin ein so mittelguter, aber durchaus vorhandener „kleiner gemeinsamer Nenner“, der eine vergleichsweise breite Öffnung der Moscheen zumindest für sunnitische Muslime erlaubte. (Im Unterschied zu Vereinen/Verbänden, die spezifische Schulen vertraten, schwerpunktmäßig auf ein anderes Herkunftsland ausgerichtet waren, schienen mir immer deutlich weniger „anschlussfähig“ für ein diverseres Publikum.

Um das zu veranschaulichen: In einer Moschee der grauen Wölfe sprach ich mit den anwesenden Männern, die mir erklärten, dass es frauenrechtlich toll und fortschrittlich sei, dass ihre Frauen im Keller säßen und dort plauschten und nähten, weil die Männer eben lasterhaft und scheiße wären und den Frauen ansonsten auf den Hintern starren würden. In einer DİTİB-Moschee sprach ich mit allen, und bei den Mädels war der Einstieg ein wenig schwieriger, weil die sich grade über ihre Zungenpiercings austauschten und spontan nicht gleich Bock drauf hatten, sich mit Fragen der gesellschaftlichen Integration zu beschäftigen, was wiederum viel über gesellschaftliche Integration aussagte.

Nun lesen sich viele Diskussionsbeiträge, als sei die DİTİB eben seit anno dunnemal eine hochproblematische Organisation, integrationshemmend, türkisch-nationalistische sowie wahlweise kombiniert frauenfeindliche, kurdenhassende, antisemitische etc. Positionen vertretend/fördernd, und um die Verwirrnis komplett zu machen, das konnte gelegentlich (und mit Einschränkungen) sogar zutreffen, aber. Denn in faktischem Impact auf die konkreten Gemeinden musste sich das überhaupt nicht niederschlagen. In .de wurde schon in den Nullern und davor kritisch diskutiert, dass die DİTİB-Imame eben in der Türkei ausgebildet wurden, oft kein Deutsch kannten usw. In den Moscheen waren die Leute schon damals aber mitnichten doof und beschränkt und gingen auch entsprechend nicht davon aus, dass der türkische Imam ohne jeglichen Hintergrund zum Leben in Deutschland ihnen jetzt sagte, wie sie hier zu leben hatten, das lernte man von allein und der Imam leitete eben das Gebet und gut, dafür war er da. Man ging nicht zur DİTİB, weil man die DİTİB und die Türkei geil fand, man ging hin, weil man keinen Bock auf die Bozkurtlar hatte und die Nurculuk irgendwie komisch fand, die Aleviten zu politisch, die Araber waren eh raus und außerdem solle ich keine Cola Turka trinken, weil Ülker die MHP unterstütze. Ich spitze zu, aber ich denke, es wird klar, worauf ich raus will.

Das hat sich mit Erdogan drastisch geändert. Der Durchgriff insbesondere politisch wurde stärker, die Diyanet wiederum ging Erdogans Kurs mit, der eben seit 2018 auch mit den MHP-Faschisten zusammen regiert. Milli Görüş näherte sich an, die Deutschtürken wurden als Auslands-Stimmenbank Erdogans wahrgenommen und entsprechend änderte sich der Kurs, und die Ergebnisse sehen wir seit Jahren. Die Organisation, die früher halt den Imam stellte und die Rückversicherung gegen eine Fascho-Unterwanderung war, ist einer Regierung unterstellt, in der eben diese Faschos inzwischen sitzen und nun, siehe Bespitzelung/Unterwanderung durch die türkischen Dienste, zunehmender massiver Politpropaganda und erfolgreicher Mobilisierung in DİTİB-Moscheen, wir sehen, was passiert, und wir sehen es seit einigen Jahren. Und das Tragische ist wie gesagt, wir sehen es grade in den Moscheen, wo vor 20 oder 40 Jahren der Anschluss an die DİTİB genau deswegen vorgenommen wurde, dass genau das nicht passiert. Ich sags mal zynisch: meiner Vermutung nach werden hier grade die Gräber einer längeren Reihe von Vätern mit dickem Strahl angepisst.

Das ist so mein persönlicher Hintergrund zur Frage der DİTİBisierung der Gathe, und heute feiert das ausgerechnet eine grüne Stadtratsfraktion, weil ihr Freund wohl Ausländer ist und der Zusatz „und Faschist“ im Sinne der Völkerverständigung besser weggelächelt wird. Heute drückt sich auch ein Mohamed Abodahab von den Wuppertaler Moscheen um eine wie auch immer geartete Positionierung zu den bekannten Problemen. Das ist ein Muster, das in der Vergangenheit gut funktioniert hat (und durchaus seine Berechtigung hatte), denn es *gab* die Möglichkeit, sich unter dem DİTİB-Dach aus allem möglichen rauszuhalten. Seit Erdogans Durchgriff auf die Diyanet, der Annäherung an MHP, Graue Wölfe, Milli Görüş und Konsorten, der Normalisierung von Faschisten und Antisemiten in DİTİB-Veranstaltungen etc. gibts die aber eben nicht mehr. Dass das an mehr oder weniger stillschweigender bis ausgesprochener Zustimmung liegt und nicht etwa am versuchten Rückzug ins Private, ist leider anzunehmen. Denn wenn Faschos mit einem laufen und nicht rausgeschmissen werden, läuft man mit Faschos.

AZ Gathe bleibt!

Ich sag mal so: es scheint mir bis irgendwann in die Zehnerjahre verständlich, nachvollziehbar, entschuldbar, da den Kopf einzuziehen, die Füße stillzuhalten und mal zu gucken. Das ist jetzt aber leider schon lange her und wer 2023 noch meint, ein Durchgriff der DİTİB auf ein zentrales, neues Kulturzentrum sei unproblematisch bis begrüßenswert und nicht etwa ein Instrument eines totalitären und klerikalfaschistischen Staates, ist dumm, bösartig oder beides.

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