Fronturlaub von Enno Lenze: kann man lesen

Fronturlaub. Mir hats gefallen (also das Buch).

Fronturlaub. Mir hats gefallen (also das Buch).

Disclosure: ich kenn Enno seit irgendwann 2007 oder so, halte ihn für einen der feinsten Menschen auf dem Planeten und darüberhinaus machte er mich mit einem Dankeschön an meine Adresse im Buch sehr verlegen. Geschäftlich bin ich obendrein im Zuge meiner Arbeit bei der AGOM noch gelegentlich für seine Berlin Story tätig. Vollkommen unvoreingenommene Buchkritik ist unter solchen Umständen so eine Sache, aber die voreingenommene ist möglicherweise auch hilfreich.

„Fronturlaub“ sei laut Klappentext etwas in Richtung Kurdistan-Doku, Reise- und Kriegsbericht, das stimmt auch, das Buch ist aber auch eine unangekündigte halbe Autobiografie, was durchaus gut so ist, aber mir ein bisschen den Einstieg erschwerte. Das ist auch das einzige, was mir so als Gemäkel einfällt – einmal wahrscheinlich persönlich begründet („Enno, das weiss ich doch schon alles“), einmal vom allgemeinen Eindruck her. In den Anfangskapiteln les ich gelegentlich das „Wir waren Helden“-Ding einer Vormilenniumsjugend raus (aber nun, als Kind in Ruanda, kaum vermeidbar) und viel „So ein Hackermindset ist ne geile Sache“, das ist korrekt und auch schwer unselbstbeweihräuchernd beschreibbar und insbesondere für den Rest des Buches fürs Verständnis notwendig. Kurz: vager Gedanke, das gehe besser, aber keine Ahnung, wie konkret. Whatever.

Die halbe Biografie: da kommt Kindheit und entsprechende Inputs, die für das Kurdistaninteresse einfach den Grundstein legten, da kommt der CCC und das Netz, und natürlich kommen die Piraten, bei denen eine Zeitlang prima Menschen prima Kram gemacht haben, und die mit der ganzen Geschichte auch schwer trennbar zusammenhängen. Überhaupt hängt vieles zusammen – denn es ist schon eine Tour de Force, wie aus einer Reise nach Kurdistan dann besagte Fronturlaube werden, an dessen vorläufigen Ende man dann auf einmal dem Präsidenten vorgestellt wird. Das passiert nicht „einfach so“ oder aus einer Verkettung eigenartiger Zufälle, das passiert, weil sich jemand sehr interessiert, sehr engagiert und eben macht, auch wenns gelegentlich nicht so aussieht, als ob das alles hinhauen könne. „When in doubt, do it“, ich meine, den Wahlspruch hatte ich zuerst im Kontext Florian Hufskys gelesen (OneUp, RIP), und ich hatte immer größten Respekt vor den Menschen, die das machten.

Wir erfahren also, wie die Kontakte in Kurdistan entstanden, wie sich Interesse zu großen Fragen entwickelt, wie hier die Geopolitik gespielt wird und auf wessen Kosten, wie ein Land mit immensen Schwierigkeiten, im Krieg und begrenzten Ressourcen von ebendiesen Kriegsanstrengungen bis zu Flüchtlingshilfe in einem (uns) beschämenden Ausmaß gebacken bekommt (nun, „gebacken“ unter den gegebenen Umständen, aber verdammt, ja). Welche (Des-)Interessen und welche anderen Faktoren da zusammenkommen, damit man zur aktuellen Lage mit ihrer, nun, durchwachsenen Informationslage kommt. Man kriegt ein Bild, was Menschen antreibt, unter den Umständen die Welt etwas besser zu machen, und hier sind wir bei einem der im Vorfeld von Sascha Lobo geäußerten Bedenken (Facebooklink), die ich weniger habe, aber nachvollziehen kann: Was passiert mit einem an notwendigerweise einer Seite der Front, und als zunächst unbekannter und dann befreundeter und wohlgesonnener Akteur aus dem Westen, der über die Lage dort schreibt? Im anschließenden Gespräch fiel der Link zu Ennos Kurdistan-Transparenzinfo, es steht noch „Entwurf“ nebenan, verlinkt sah ich das sonst jetzt noch nicht, ich hoff, das ist OK, und überhaupt, when in doubt, do it.

Ich konnte jedenfalls nach Lektüre einiges mehr mit den Namen und Personen anfangen, von denen ich dann doch öfter auf Ennos Blog oder FB gelesen habe. Neben den eigentlichen Reiseberichten stehen viel direkte und indirekte Erzählung neben viel Motiven und Hintergründen der Leute, man kriegt ein Bild. Hier hab ich doch nochmal kurz was zu mäkeln – rekonstruierte Dialoge lesen sich gelegentlich etwas hölzern. Aber so what – man hat hinterher das bisher fehlende Verständnis davon, wie die jeweiligen Menschen dort ticken und, ich wage zu hoffen, eines, was einem hilft, die Situation überhaupt dort besser zu begreifen und einzuordnen.

Zwei Punkte zum Schluss. Stilistisch: Geschmackssache, mir sind die Sätze gelegentlich etwas zu kurz. Haha, sagt der Bandwurmschreiber, der als erstes vorm Text-Raushauen mal in jedem Absatz zwei Kommata durch Punkte ersetzt. Vielleicht auch eine unbewusste Kiste: ich les manches und denke, es liest sich einfacher, als es in wirklich und in kompliziert tatsächlich ist. Auf der anderen Seite, und damit zum Puhnkt zwei: Auch wenn ich eine Latte der Vorgeschichten schon kannte, ich hab mit viel Neugier und Interesse gelesen und es wurde wie vermutet ein „Fängste an, legstes nicht mehr weg“. Jetzt so im Nachhinein und beim Sackenlassen: nicht mal nur wegen der Schilderung eines Landes/der politischen Entwicklung in einer Krisenregion, die mir nun nicht wirklich vertraut ist, sondern wegen des anfangs erwähnten und immer durchscheinenden Mindsets. Es passiert nicht „eben irgendwem“, dass er/sie auf einmal an der IS-Front steht und bedenkenswertes berichten kann. Es sind keine glücklichen Fügungen, dass man einem Außenminister Steinmeier halt mal ein Bild zustecken kann und auf einmal Kontakte vernetzt, weils ja irgendwem passieren muss. Es passiert den Leuten, die was machen, die was versuchen, im Zweifel was improvisieren und sich in Dinge reinhängen, weil sie ihnen wichtig sind.

„Fronturlaub“ gibts bei riva (Print und ePub), signiert gibts welche via Berlinstory.

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