Newslettertracking, die böse Marketerperspektive

Das nimmt grade ein wenig überhand mit der Trackingdekonstruktion, und ich sehs nicht als mein Kernthema, aber jetzt lief mir erst Netzpolitik mit dem Newslettertracking über den Weg und nun eskalierts der von mir außerordentlich geschätzte diplix nochmal eins weiter (1), und dann juckts den Tippfinger. Vorab: folgendes soll absolut keine Rechtfertigungsschrift sein, sondern schlicht eine weitere Perspektive aufs Problem, das ich zugegebenermaßen jetzt nicht als sonderlich groß empfinde. Weiter bin ich einmal mehr kein explizit mit NL-Marketing befasster Onlinewerber, hab aber durchaus damit zu tun gehabt und eine Latte Backends und Auswertungen von hinten gesehen und auch durchaus strategisch mitgeplant.

tl;dr: Viel tolles Marketinggerede von Marketingdienstleistern ist Marketinggerede, viele maximalinvasiv wirkende Techniken sind in der Praxis weitgehend irrelevant, es geht nicht immer ums User maximal durchleuchten, sondern oft genug ums „wir haben den geilsten Tech, kauft unsere Plattform“. Ein Newsletter ist eine ausgelagerte Webseite, auf der man angemeldet surft, handle mit es.

Kurzgefasst das Problem: In Newslettern sind Trackingpixel, mit denen wird gemessen, ob und wann der Newsletter geöffnet wird. Das ganze in der Regel individualisiert, sprich, ich sehe, wann du (ja, genau du) meinen NL aufgemacht hast. Wenn du einen Link in einem Newsletter klickst, ist der in der Regel auch kein Link der Art https://www.example.com/zielseite, sondern https://www.example.com/zielseite?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=heutigesdatum-nl&utm_content=produktlink-3 und wenn man das selber nachbauen will, Google hat ein Tool dafür. Sinn davon: wer klickt, wird auch auf der Webseite als Besucher erfasst, der über Link X vom Newsletter Y kam.

Ausgebaut das Problem: wer jetzt seinen Newsletterordner durchsieht, findet dort aber meist keine Links nach Muster https://www.example.com/zielseite?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=heutigesdatum-nl&utm_content=produktlink-3, sondern vielmehr was deutlich kryptischeres in der Art von https://nl.example.com/u/bla.php?v1=xyz&v2=abc&usw, und das liegt daran, dass die Newsletterplattform gleich via Subdomain in die eigene Domain integriert wird. So kann idealerweise auch gleich das passende first Party-Cookie gesetzt werden, kann man individuelle kryptische URLs für jeden einzelnen Empfänger generieren und diese nach wiederum individualisiertem Usertracking auf eine URL mit den oben genannten Parametern weiterleiten, damit der Webseitenbesuch wieder separat weiter erfasst wird.

Das ist der Case, den diplix beschreibt: ein Pixel misst die Öffnung, jeder einzelne Linkklick misst personalisiert genau diesen Linkklick. Was anschließend auf der Zielseite passiert, wird (wahrscheinlich nicht mehr individualisiert, aber durchaus als NL-Besucher erkennbar und prinzipiell via Timestamp individualisierbar) auch messbar, abhängig von der eingesetzten Trackinglösung.

Und hier kann man das an sich schon runterbrechen: ein Newsletter ist an sich auch nichts anderes, als angemeldet auf einer Shopseite unterwegs zu sein. Und natürlich sieht in so einem Fall analog auch Amazon, wenn ihr angemeldet tagsüber zu Büroarbeitszeiten die Primeday-Angebote absurft und spätnachts nach dem dritten Bier die Einsteiger-Bondagesets, und natürlich können sie sich ihren Reim drauf machen.

Was mach ich mir für Reime aus Newsletterauswertungen? Mit Mailchimp- und Cleverreachdaten hab ich etwas ausgiebiger rumgespielt. Wie gesagt nicht als Kernkompetenz, aber ich würde jedem Einsteiger in der Materie dazu raten, nach den großen Bildern zu gucken. Wann wird der NL geöffnet? Eher zu diesen Zeiten versenden. Welche Angebote werden geklickt? Die sind wohl attraktiv, überlegt euch, warum. Welche nicht? Warum nicht? Brauchen wir die, braucht *der Empfänger* die?

Und damit sind wir beim eigentlichen Punkt: es geht um die *Empfänger*. Ich lüge mir nun nicht das Märchen in die Tasche, dass gute Werbung immer genau den Leuten, die es interessiert, genau das anbietet, was sie interessiert, aber bei einem verdammten Newsletter! den man freiwillig abonniert, weil man ihn will, weil man sich was davon verspricht!, da erwarte ich durchaus, dass ich nicht mit der Gießkanne und allem zugespammt werde, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Den abonniere ich auf Seiten, bei denen ich bereits Kunde bin, und ich abonniere ihn, weil ich auch in Zukunft Kunde sein und was kaufen/wissen/whatever will, und dann stelle ich verdammte Ansprüche.

HTML-Emails. Wie die Altvorderen sie wollten.

Wenn mir dann Notebooksbilliger zum x-ten mal Acer-Sonderangebote reinschiebt, auch wenn ich außer Lenovo nie nichts anklicke, dann machen sie was falsch (ich mag euch immer noch, notebooksbilliger, es ist nur ein Beispiel, und zuletzt hat das mit Lenovo ja auch super gepasst). Und natürlich misst man die Conversions nach dem Versand. Und du, ja, genau du willst, dass die Conversions gemessen werden, denn ein Newsletter, bei dem niemand klickt und kauft, kostet nur Geld, nervt nur Leute und wäre besser nicht verschickt worden.

Mehr als bei allem anderen gehts bei Newslettern drum, dass man den Leuten die Sachen schickt, die sie interessieren, und nach Möglichkeit nur die. Ob man das schafft, selbst wenn man jeden einzelnen Linkklick auswertet, das ist fraglich. Dass es vollkommen danebengeht, wenn man alles an jeden raushaut, ist hingegen eine recht sichere Wette. Der „Abmelden“ Link steht immer im Footer, niemand will, dass jemand da drauf klickt, und das hat sich schnell. Und wie immer: es wird niemand jemals händisch gucken gehen, wann du, ja genau du! nun jetzt nur mal zum Spass auf die Fleshlight-Links im letzten Chinaplaste-Mailing geklickt hast, um dir, ja genau dir! noch die große Zusatzauswahl vom neuen Importeur nachzuschicken.

Der Witz ist, dass man selbst für die Basic-Verbesserungen eben detailiert tracken muss, allein schon, um statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu kriegen. Ich schätze, ein Gutteil der „more sophisticated“-Geschichten wird von vielen Versendern nie wirklich genutzt/ausgewertet, aber es wäre aufwändiger, sie rauszulöschen als sie stehenzulassen und niemand wird das schon im Vorfeld wünschen, man *könnte* es ja mal brauchen. Ich schätze, viele haben durchaus coole Profile angelegt und schicken dann im Zweifelsfall doch mit der größeren Gießkanne, weil kann ja sein, dass von den Elektronik/Löten-Fans doch auch drei Leute eine Kettensäge bestellen, wenn man ihnen den Haus-Garten-Angebotsflyer auch schickt. Wirklich geile Automatisierungslösungen: die gibt es, mir fielen sie sie noch nicht bewusst in die Mailbox. Wenn es Notebooksbilliger (sorry!) irgendwann schafft, vernünftig personalisierte Newsletterangebote und -Sonderaktionen zu verschicken, fänd ichs wohl cool, denn ich interessier mich halt nicht für Gaming-PCs. Aber: So manch einer in unserer Branche wird schon was in der Art analysiert haben, dass die drei Textboxen rechts beim Märzmailing an die XY-Interessenten überdurchschnittlich performten, besonders die mittlere bei der Hauptzielgruppe, und irgendwer anders mit Entscheidungsbefugnis sagt dann aber: „Das penetrante Vollbild-Aprilmailing an alle hatte aber mehr Umsatz, den Mai-NL machen wir genauso, EOD.“

Es ist schon ein paar Jahre her, da versuchte sich Conrad an personalisiert *gedruckten* Prospekten. Es schien mir gar nicht so verkehrt, aber ob/wie das weiterging, ging an mir vorbei, gesehen hatte ich nichts derartiges mehr. Ich mag kein Totholz, aber grade elektronisch erwarte ich an sich genau das.

Zu guter Letzt ein komplett anderes Problem. Email ist inhärent kaputt, und dass alles, was nicht grade 20 Personen-Mailman ist, früher oder später zu Mailchimp und Konsorten wandern *muss*, ist ein Problem. Genauer: die Probleme sind White- und Blacklisten, ISPs, die insbesondere Mailings zu einem Glücksspiel machen können, der übliche Human Factor (Hand hoch, wer noch nie über die klassischen CC/BCC-Pannen lachte) und dass diese Dinge passieren und passieren werden, solange Menschen Mails verschicken. Es ist für Individuen, kleine bis mittlere Organisationen etc. meiner Ansicht nach irgendwann nicht mehr praktikabel, einen größeren Empfängerkreis von Mailings sinnvoll zu erreichen, und damit meine ich zuverlässige Zustellung (man braucht irgendwann einen explizit whitegelisteten Server oder landet im Spam, bzw. wird direkt vom ISP gesperrt), ein ISP, ders zulässt (Wer weiss von seinem Provider, wieviele Mails er maximal in $zeitraum verschicken darf?), vertretbare An- und Abmeldemodalitäten (hihi, DSGVO-konform!), interessens/profilbasierte Empfängerauswahl, Antwortmanagement/Automatisierung… Ich sage nicht, das sei unmöglich, aber es ist schwierig und man wird auf alle genannten und noch ein paar mehr Probleme stoßen, wenn mans versucht.

Wenn ich aus meiner Perspektive einen Bedarf anmelden würde: es gäbe einen an explizit datensparsamen Mailingverwaltungen für kleine Organisationen. Das scheint mir aber ein vollkommen von der Trackingkiste losgelöste Problematik zu sein. Davon ab gefiele es mir durchaus, wenn Mailchimp auch mal sowas anbieten würde.

(1) Ich kanns mir nicht verkneifen. Der Link dort war natürlich nicht
https://www.piqd.de/technologie-gesellschaft/newsletter-saugen-personliche-daten-und-alle-machen-mit
sondern
https://t.co/AMa0DERUeS,
was wiederum auflöst nach
https://www.piqd.de/technologie-gesellschaft/newsletter-saugen-personliche-daten-und-alle-machen-mit?utm_source=Twitter&utm_medium=social&utm_campaign=piqer_sharing
und natürlich weiss jetzt twitter, dass ich, @Korrupt, um die und die Zeit auf den Link von diplix klickte, und piqd, dass ich von Twitter kam usw., und all das gab ich wegen Diplxens Tweet preis, weil himmel, warum, was hast du mir angetan? Warum wurde ich im Tweet nicht vor dem Klick gewarnt? Es ist eine verkehrte Welt, und ich prangere es an.

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3 Responses to Newslettertracking, die böse Marketerperspektive

  1. ix sagt:

    danke für die zusätzliche perspektive. und nur ums nochmal klar zu sagen, fürs personalisierte tracking gibt’s viele gute gründe. was aber mein aufhänger ist: kaum jemand versteht, in welchem umfang man beim newsletterlesen und klicken beobachtet wird und dass hier in der regel nichst pseudonymisiert wird, sondern knallhart persönlich identifizierbar profiliert wird.

    und: eine wahl wird einem, wenn man den umfang des trackings verstanden hat, in der regel eben nicht gegeben. lediglich der anbieter inxmail (habe ich zumindest mit oberflächlichster recherche gesehen) bietet fürs tracking einen separaten opt-in an.

    und zum t.co-url-kürzer und -tracker: der, und alle anderen shortener, nerven auf sehr vielen ebenen und ermöglichen (theoretisch) twitter für angemeldete benutzer ebensolche klick-historien anzulegen, wie es die newsletter-anbieter (theoretisch) können. aber immerhin kann ich der personalisierten erfassung entgehen, indem ich t.co-links beispielsweise in einem anonymen browserfenster öffne.

  2. Avatar-Foto Korrupt sagt:

    Hoi,
    das einleitende Kompliment geb ich gern zurück, auch wenn ich gern stichelig dagegentexte, ich hab die „andere Pwerspektive“ auch durchaus gern auf dem Schirm und weiss ungefähr, aber naturgemäß nie im vollen Maß um die eigene Betriebsblindheit.
    Mir fiel die im Kontext vor allem in Richtung der „“Normalnutzer halten eh alles für Web“ -Denke bei mir auf. Mobile hat das ziemlich geändert, aber eine zeitlang diffundierte ja alles ins *Web* und stellte man irgendwann fest, dass man der einzige zu sein schien, der noch Mailprogramme nutzt. Bei „normalen“ Leuten ist das alles im Browser. Und dort sieht ein Newsletter halt aus wie ne Webseite, und wenn ers nicht tut, ist was kaputt. Diese „NL=Webseite“-Annahme schrieb ich recht unreflektiert der „Normalnutzerschaft zu.

    „Die Wahl“. Ich sehe deinen Punkt, aber grade hier scheint mir eben auch sehr stark zuzuschlagen, dass man ja nicht plötzlich einen Newsletter abonniert hat, wie man eben auf einmal wo ein Popup durchgehen ließ. Man wählt halt durchaus sehr konkret und bewusst, dass jetzt Anbieter X mir, an meine mailadresse, das und das schicken soll, weil ich *das so haben möchte*. Den oben ausführlicher ausformulierten „Und ich will keinen Spam, ich will genau das, was mich interessiert!1“ Punkt unterstelle ich da durchaus. Ich fand nebenan auf Netzpolitik die „Die sollen nicht wissen, dass ich den lese“-Punkt ohne Ironie irgendwie vollkommen albern: Ich fordere die Info an, aber ob ich die nutze, soll der Sender nicht mitbekommen? Ich verstehe die Logik dahinter, aber *meine* Logik bei einer netzpolitik-lastigen Empfängerliste wäre „Hm, 20% Öffnungsrate. Ich muss meine Betreffzeilen spannender, auffälliger, whatever machen.“ Will das jemand?

    Wenn jemand 20 NL von mir kriegt und keinen aufmacht, dann geh ich davon aus, dass ich den spamme und werd irgendwann mal sagen, lasst uns die 20+-Nichtöffner mal rauswerfen, wir haben eh schon 980 Leute auf der Liste und ab 1000 kostets bei Mailchimp“. Nein, ich sag sowas natürlich nicht, aber mich würds nicht wundern, wenns passiert. Usw.

    Zum t.co-Shortener: du bist ja langweilig, Klickhistorien erfassen :). Interessant wirds dann, wenn an die Amazon-Links vom Shortener Affiliate-IDs gehängt werden, und der Spass geht dann richtig los, wenn man vorhandene austauscht.
    Das jetzt auch kein „Guck, was ich für coole Blackhatgeschichten kenne“, sondern soll ne Loguik hinter den Sachen illustrieren: das ist oft genug nicht das gern befürchtete „Die wollen mich, genau mich durchleuchten!“. In der Regel ist das Motiv recht unpersönliches Geldmachenwollen.

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