Stanislaw Lem, Gast im Weltraum

Mal wieder ne Rezi, zwar zu einem meiner Lieblingsautoren und -denker überhaupt, aber explizit keine Empfehlung für Nicht-Fans, mir ist nur danach, weil ich seit langem mal wieder Gelegenheit hatte, einen Lem zu lesen, den ich noch nicht kannte und von dessen Existenz ich auch nur am Rande wusste.

„Gast im Weltraum“ ist einer der frühen Lems, den er selber, nun, ich will nicht sagen hasst, aber explizit Scheisse findet. Ich zitier ihn mal selber:

„Heute erzeugt es [über „Die Astronauten“] bei mir nur Übelkeit. Auf derselben Ebene liegt der „Gast im Weltraum“, vor allem aufgrund seiner Diktion. … Ich stand damals weitgehend unter dem Einfluss von Rilke, so war also mein Stil der zehnte Aufguß der Sprache dieses Dichters. Gießen wir über das noch eine widerlich schmalzige Fabel, dann erhalten wir ein Extrakt der sozrealistischen Ära…“

…ok, doch, er hassts. Ich hatte am Ende unseres Urlaubs auf einem Markt in MeckPomm einen Bücherstand gesehen und dort einen Lem gesehen, und beim näheren Hinsehen deren vier. Größtenteils hatte ich die schon, aber eben die Taschenbuchausgaben vom Verlag Volk und Welt (DDR), die mich neugierig machten, schon allein wegen vielleicht anderer Übersetzung usw., und einige Texte hatte ich eben auch noch nicht (die Fernsehspiele, z.B.). Es endete damit, dass ich eben alles von Lem einpackte, was da war. Und dann las ich natürlich den „Gast“, weil ich den noch nicht kannte.

Kurz die Geschichte: 32. Jahrhundert, die Welt ist kommunistisch und geeint und schickt ein Raumschiff mit über 200 Personen Besatzung auf eine zwanzigjährige Reise zu einem anderen Planetensystem. Hauptperson wie auch praktisch alle anderen Protagonisten sind mustergültige Kommunisten, die von den Irrungen und Wirrungen der Menschheitsgeschichte bis zu ihrer gesellschaftlichen Vollendung größtenteils allenfalls nur noch wenig wissen. Im Mittelpunkt steht die Reise und die Schwierigkeiten in dieser langen und eben auch für pflichtbewusste Kommunisten langweiligen Zeit.

Was an sich tragen kann – dass man selbst in einer intellektuell und technisch höchst anregenden Gesellschaft mit der Zeit den Koller kriegt, kann ja ein durchaus dankbares Thema sein. Für Lem ist das ganze natürlich dennoch schlicht und ergreifend schlecht umgesetzt. Was mir aber alles gefiel, mag an meinem diesbezüglich vielleicht etwas verqueren Geschmack liegen bzw. an von Lem explizit nicht gewünschten Effekten, daher die folgenden Statements mit der entsprechenden Vorsicht lesen oder zur Leseanregung verwenden.

Vorneweg: der ganze sozialistische Realismus, der Lobgesang auf den Kommunismus, die Disserei in Richtung USA/Westen des 20. Jahrhundert macht mir eben Spass. Anderen vermutlich nicht. Ich hab dabei immer Star Trek mit seiner stillschweigend vorausgesetzten quasikommunistischen Weltordnung im Hinterkopf, und dann kommt mir alles, was Lem vermutlich als unerträglich dick und süßlich aufgetragen empfindet, als irgendwie angenehm ehrlich und, im Gegensatz zu ST, „erwähnt“ vor. Klar, da kapieren die Leute im Buch dann nicht mehr, was das eigentlich mit dem Krieg und der Ausbeutung überhaupt *gesollt* hat, nach dem Motto, wie kommt man denn auf so Schwachsinnsideen, und dann wirds auch mir ein wenig zuviel, oder wenn sich dann die getreuen Sozialisten für das Große Ganze aufopfern und hastenichtgesehen, da kommen auch einige der wirklich handwerklichen Schwachpunkte, dass dann fürs 32. Jahrhundert doch erstaunlich oft dieses ominöse 20. Jahrhundert herangezogen wird, aber im ganzen mag ich das.

Das nächste: Lem auf ungewohnten Feldern. Wenn er sich dann doch auch in der Liebesgeschichte versucht, gar romantisch wird, sich in überquellenden Landschafts- und Idyllschildereien versucht, ja, Rilke, ganz eindeutig. Ich mag ihn lakonisch und wissensbetont um Längen lieber, er ist ein erdenschlechter Romantiker und gut, dass ers wieder gelassen hat, aber es ist mal spannend zu sehen. Ich gebe zu, das hat ein wenig was voyeuristisches, wie wenn man einen genialen Schauspieler abends beim Karaokesingen sieht und merkt, singen kann der Kerl nun mal nicht, aber das mein ich – irgendwie versteh ich sehr gut, dass Lem das Buch nicht mehr verlegt wissen will, aber irgendwie mag ich ihn auch grade wegen sowas.

Ums zusammenzufassen: der „Gast“ ist bei mir beim Lesen ein irgendwie seltsames Mischmasch gewesen – bei Lem freu ich mich beim Lesen eigentlich immer über seine Scharfsinnigkeit, durch den seine Geschichten einfach auch großartig werden. Im „Gast“ ists ein vollkommenes Wechselbad – da blätter ich um und kann mich amüsieren über den Lem, der sich genrefremd mehr schlecht als recht versucht hat, da fang ich an zu überlegen, was jugendlicher Idealismus und was dem Zeitgeist und der Erwartung an einen sozialistischen Autor geschuldet war, dann scheint wieder eine der typischen Lem-Ideen durch, die man von anderswo besser kennt, aber wo man schon wieder denkt, sogar unter drei Meter sozrealistisch-romantischem Zuckerguss kann der Mann seine scharfe Denke nicht plattschleifen, und dann kommt irgendeine Episode, die irgendwie trotz aller Überzuckerung einfach auch gut ist. Dann kommt wieder was unerträglich holzschnittig-klassenkämpferisches, was mich dann aber immer auch an die textlichen Westpeinlichkeiten aus kalten Kriegszeiten denken läßt, und dann bin ich auch wieder so unterwegs, dass ich eine Moralpredigt in der Krise zur Hebung des kollektiven Geists auch gelegentlich einfach nur geil finden kann, in der vom Nationalsozialismus über die Menschenwürde bis hin zum kommunistischen Ideal und der Menschheit als Wunder und ihrem friedlichen Zusammenleben und (insbesondere) -arbeiten als ihre größte sozialistische Errungenschaft gefeiert wird. Ist ja auch was dran.

Wie gesagt, ich konnts lesen und hatte Spass, aber ich denke, dafür muss man hartgesottener Lem-Fan sein, seine anderen Sachen kennen und das Buch nicht als Buch allein sehen, sondern insbesondere als Kontext-Lieferant für eine Latte anderer Gedanken, die dann interessanter sind als die eher abgeschmackte Story selber.

„Gast im Weltraum“ wurde nicht wieder aufgelegt, ein paar Leute bieten die Volk und Welt-Fassung bei amazon an, da gibts auch ne Rezi.

Das Lem-Zitat ist aus Beres/Lem, „Lem über Lem„. Meines Wissens nach auch vergriffen/nicht neu aufgelegt.

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4 Responses to Stanislaw Lem, Gast im Weltraum

  1. Volker sagt:

    Es gibt auch eine deutsche CSSR?-Verfilmung vom „Gast im Weltraum“, die leider nicht aufzutreiben ist. Manchmal bringen arte oder mdr „Antikes“ wie „Solaris“ oder „Planet des Todes“, aber viel zu selten.
    Übrigens „Elementar“ von LEM finde ich die „Sterntagebücher“: siehe die Matrixfilme sowie alle möglichen Zeitreisen und KI-Terminatoren – ganz abgesehen vom politischen Kabarett. Für das Verständnis heute muß man aber auch in dieser Zeit gelebt haben.
    Ich glaube, so unterhaltsame Philosophen wie LEM werden nicht mehr gemacht. Was sich nicht verkauft, ist überflüssig.

  2. Avatar-Foto Korrupt sagt:

    Ich muss mal in den „Gespraechen“ nachsehen, ich bin mir recht sicher, das Lem die Verfilmung erwaehnte. Was die Sterntagebuecher angeht, sind wir ganz beieinander :) Und wenn sich grade schon ein offensichtlicher Kenner der Materie hier eingefunden hat: kannst du mir sagen, ob ich mich trauen soll, die juengste Serienverfilmung von „Ijon Tichy, Raumpilot“ anzugucken? ich hatte ein paar Amazon-Rezis gelesen und bin seitdem unschluessig, ob ich mir das ansehen soll oder nicht, obs mich freut oder ich mich auf ewig aergern werde… :o)
    Was Kabarett angeht: die Hoer/Fernsehspiele hatten mich letztens auch sehr erfreut, einmal fand ich noch was in einem Sammelband und Anfang des jahres den „Der getreue Roboter“, bis dahin kannte ich nur die Schichttorte.
    Ansonsten ack, wobei man zu Lem anmerken muss, dass er sich ja definitiv gut verkauft hat. Und das macht ja auch ein Stueck weit Mut.

  3. itzel sagt:

    Ich habe gestern im Flohmarkt das Buch gefunden .. ich habe noch nichts von ihm gelesen aber habe es gekauft, und jetzt sehe ich dass es vom Verlag Volk und Welt ist. Bin gespannt!

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