Videoüberwachung im Berliner ÖPNV: This is why you fail

Ich kriegte grade das PDF der Antwort des Berliner Abgeordnetenhauses zum Thema „Videoüberwachung (II): Kameras statt Personal im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)“, in dem B90/Grünen-Abgeordneter Benedikt Lux einige naheliegende Fragen stellte und der Kleine Senat zu einigen erhellenden Antworten bewegt wurde. Ich fass mal zusammen, weil mal wieder ist alles schlimmer, als man es sich so vorstellt. Drei richtige schöne Brüller.

Hardfacts, kurz: In Berlin sind aktuell 6404 Kameras in „fahrgastrelevanten Bereichen“ des ÖPNV installiert. Über die Hälfte davon (3.761) in Bussen, 900 in Trams, 808 in U-Bahnen und 935 auf Bahnhöfen. Das ergibt „Abdeckungsquoten“ zwischen 100% (Bahnhöfe) und 28% (Trams). Deren Betrieb koste jährlich etwas über 1,5 Millionen, die „drei Vollzeitkräfte“, die laut BVG mit dem „Auslesen“ beschäftigt sind, scheinen der Formulierung nach nicht im Preis inbegriffen zu sein.

Der erste Hammer: Die Kosten seien „inkl. Kosten für Festplattenwechsel stationärer Geräte“, und die „Überwachung“ eigentlich eine „Aufzeichnung“. Wörtlich: „Die BVG führt im technischen Sinne keine Videoüberwachung durch, sondern eine Videoaufzeichnung.“ Überwacht wird demnach direkt nichts, nur auf Anfrage der Polizei wird eine Aufzeichnung ggf. irgendwann ausgewertet. Ich stell mir das jetzt so vor: da ist eine Kamera, die nimmt auf die angeschlossene stationäre Platte auf. Wird im gefilmten U-Bahn-Wagen jemand verdroschen und kommt es zur Anzeige, dann fordert die Polizei die Platte an, irgendjemand baut die dann aus und bringt sie zur Polizeidienststelle, und die wertet die aufgenommenen Filme dann aus.

Hammer Nummer Zwei: bis 2013 sollen die U-Bahn-Wagen vollständig mit Kameras ausgestattet werden (aktuelle Durchseuchungsquote 31%). Begründung:

„Die volle präventive Wirkung entfaltet die Videoaufzeichnung erst, wenn alle Fahrzeuge mit entsprechender Technik ausgerüstet sind. Potenziellen Straftätern muss bewusst sein, dass ihre potenziellen Taten in allen Fahrzeugen dokumentiert werden würden. Deshalb befürwortet der Senat die Ausstattung aller Fahrzeuge der BVG mit Videoaufzeichnungsanlagen.“

Da hat jemand seinen Foucault nicht gelesen. Es reicht vollkommen, wenn den von der Überwachung Betroffenen nicht bekannt ist, ob sie augenblicklich überwacht werden oder nicht. Egal, gleich weiter zum letzten Brüller, denn gefragt wurde auch, ob es jemanden interessiert, was das ganze bringt. Hier ein Fullquote, weils so schön ist, Hervorhebung von mir:

Frage 9: Teilt der Senat die Ansicht, dass eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung der Wirkung von Videobeobachtung in der BVG angezeigt ist? Wenn ja, was tut er, damit eine solche realisiert wird? Wenn nein, warum nicht?

Antwort zu 9: Die BVG führt Untersuchungen zur Wirksamkeit der Videoaufzeichnung, insbesondere im Hinblick auf das subjektive Sicherheitsempfinden der Fahrgäste, durch. Die nach Umrüstung des Videomusterbahnhofs Kottbusser Tor geplanten Evaluationen werden in enger Abstimmung mit der Berliner Polizei durchge-führt. Insofern ist eine externe Begleitung aus Sicht des Senats nicht erforderlich.

Ich übersetze: wir fragen gelegentlich ne Latte Leute, ob sie sich sicherer fühlen, wenn sie wissen, dass Straftaten gefilmt und Täter dadurch zur Rechenschaft gezogen werden. Klar sagen alle ja. Ergo müssen wir uns mit sowas wie tatsächlichen Aufklärungsquoten, Verlagerungseffekten usw. überhaupt nicht mehr rumärgern, denn es geht uns ja nicht um tatsächliche Sicherheit, sondern nur darum, dass alle denken, irgendwas sei nun sicherer.

Ich umschreibe die Antworten mal sinngemäß:

„Wir geben anderthalb Millionen im Jahr aus und lassen drei Vollzeitkräfte alte Filme gucken, dafür landet irgendwann vielleicht mal eine Festplatte mit nem Video auf dem Schreibtisch eines Polizisten, der dann schauen kann, ob er die Leute drauf erkennt, die irgendwann mal irgendwen in der U-Bahn verdroschen haben. Vielleicht werden die dann möglicherweise gefasst, vielleichter sogar verurteilt. Was das bringt, wissen wir nicht, aber wir haben gefragt, ob die Leute sich mit den Kameras sicherer fühlen, und sie haben geasagt, ja. Deswegen brauchen wir auch noch ein paar mehr.“

Keine weiteren Fragen, euer Ehren.

Nachtrag: Missi schlug mich grade beim Parallelbloggen zum Thema um zwei Minuten und setzt andere Gesichtspunkte. Und stellt das PDF online.

Nachtrag 2: So kann man das alles natürlich auch interpretieren.

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4 Responses to Videoüberwachung im Berliner ÖPNV: This is why you fail

  1. Tom sagt:

    Ich finde die Darstellung greift zu kurz.

    1. Was ist mit den Kosteneinsparungen durch sinkende Versicherungskosten?

    2. Du hast vergessen, dass nach dt. Recht installierte Kameras vor dem Einsteigen gekennzeichnet sein müssen (dieser Wagen wird videoüberwacht). Man weiß also sehr wohl wenn KEINE Kameras installiert sind. Nur einige Wagen auszurüsten reicht folglich doch nicht.

    3. Eigentlich installiert man die Kameras nicht primär um Verbrechen zu verhindern, sondern um Vandalismus zu reduzieren. Man müsste also nicht die Polizei, sondern die Verkehrsbetriebe fragen ob die Anschaffung unter dem Strich wirtschaftlich sinnvoll war.

    Erfahrungen anderer Verkehrsbetriebe zeigen, dass sich die Schäden durch Vandalismus tatsächlich drastisch reduzieren. Man sollte die Aufwand und Nutzen jedoch jeweils gegeneinander abwägen.

    Beispiel hier: Verkehrsbetriebe Wuppertal

  2. Foo sagt:

    @Tom:

    Es ist sicherlich nicht verboten, einen „Dieser Wagen wird videoüberwacht“ anzubringen ohne eine Kamera zu installieren. Ist viel billiger hat aber einen ähnlichen Effekt.

  3. Avatar-Foto Korrupt sagt:

    Tom, ich denke, man wird auch gegen deine Interpretation des Sachverhalts Gegenargumente finden der Art „wird nur verschoben, nicht vermindert“, „hat moeglicherweise insbesondere was mit den neu eingestellten ‚privaten Sicherheitskraeften‘ zu tun“ etc., aber es geht mir nicht in erster Linie darum. Sondern der Punkt ist, dass den Leuten das ganze Ueberwachunsgkamerading als „Sicherheit“ ins Hirn gedroschen wird, immer und immer wieder. Dass das bedeutet, dass man eben trotzdem aufs Maul bekommt und allenfalls spaeter vielleicht ein paar Prozente Aufklaerungsquote mehr rauskommt, bis man dann woanders aufs Maul kriegt, faellt unter den Tisch. Dass es statt um Sicherheit um „Vandalismus“, in der Regel ein netter Holzhammer fuer „Graffiti“ geht, wuird auch nicht gesagt.
    Schlimmer noch, man macht die „Erfolgsmessungen“ in erster Linie von der vorher fleissig indoktrinierten Antwort auf die Frage „Schafft Kameraueberwachung Sicherheit?“ fest, und wenn dann, oh Wunder, alle mit „Schon irgendwie, ja“ antworten, dann behauptet man, es bringt was und baut die Scheisse weiter aus. Und begruendet es, hihi, mit „es bringt ja was“.

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