Die Disziplinargesellschaft und ihre Anzeichen…

…da schrob ich schon in meiner Magisterarbeit drüber, grade hatte ich mich ein wenig mit Kai unterhalten und musste feststellen, man nimmt da gerne einiges als recht gewohnt und selbstverständlich hin, worüber sich nachzudenken lohnt. Ich mach ne ganz kurze Einführung.

Grundgedanke des Posts hier: Viele der Überwachungsmaßnahmen, die grade stattfinden und angedacht werden, haben in dem Sinn keinen Nutzen, sondern dienen der Disziplinierung. Das liegt an Inkompetenz, sinkenden Hemmschwellen, der Bedienung aktionistischer Instinkte und so weiter. Wir machen vielleicht den Fehler, nicht auf ähnlich primitivem Niveau die Massen anzusprechen. Wir könntens uns aber leisten, denn auf Nachfrage hätten wir die besseren Argumente und die sichereren Fakten. Ich neige daher zu einer Strategie der Agitation und Propaganda.

OK, es interessiert? Fein. Dann hol ich kurz aus.

Ich war mal mit der PDS auf nem Workcamp, damals war ich noch Öko und ein wenig erstaunt, was da bezüglich Mülltrennung geredet wurde – reine Disziplinierungsmaßnahme, die dazu dient, den Leuten einzutrichtern, sinnlose Tätigkeiten zu verrichten, weil man das *eben so tut*.

Ich neige bis heute dazu zu sagen, dass das nicht durch die Bank hinhaut und man auch einige Sachen anleiern muss, damit man sie überhaupt zum Laufen bekommt, eine funktionierende Recyclingwirtschaft gehört für mich dazu.

Jedenfalls aber… ich denke, ganz falsch liegt die Vermutung nicht, gegebenenfalls einfach mal was durchzusetzen und das Volk daran zu gewöhnen, dass es verdammt nochmal keine blöden Fragen stellen soll, sondern eben tun, was man sagt, das hat schon seinen Sinn. Und so kommt mirs grade vor.

Ironischerweise denke ich so, weil ich immer noch an die Intelligenz von Politikern glaube. Ich hatte mit einigen zu tun, und da sind helle Köpfe unterwegs. Ich glaube nach wie vor, dass da viel Entscheidungen fallen, weil manche Leute an sich verdammt fit sind, aber eben vieles einfach so passiert. Inkompetenz, ich mag gar nicht sagen, Gesetzmäßigkeiten. Es sind Leute, die was entscheiden.

Ich halte die aktuell laufenden Diskussionen zu Bundestrojanern, zu biometrischen RFID-Ausweisen, zur Kameraüberwachung und ähnlichem mehr für bekloppt. Die Risiken sind bekannt, dass es konkret nichts bringt, dito. Vor allem Schäubles Trojanergeschichte ist imo völlig neben der Spur. Ich frag mich eben, warum versucht wird, was sinnloses durchzusetzen, auf Kosten des Grundgesetzes.

Das ist so der Punkt, wo mir die Disziplinierung wieder einfällt. Jedenfalls – es werden Maßnahmen durchgesetzt, von denen dem Großteil der Entscheidungsträger bekannt ist, dass sie keinen praktischen Nutzen haben. Wie gesagt, ich glaube an die Denkfähigkeit der Entscheider. Es gibt zwei Gründe, dennoch die Pläne durchzusetzen. Einmal, damit man wieder gewählt wird. Man hat was gemacht. Wenns hart auf hart kommt, hat man nur wegen der Opposition nicht so vorgehen können, wie man eigentlich wollte, wenn nichts passiert, dann, weil man ja alles menschenmögliche unternommen hat.

Der andere: Nichtstun ist schwierig, handeln einfach und man kann Leute teilnehmen lassen.

Ich habe das Gefühl, dass grade viel der Maßnahmen keinen konkreten Zweck haben, aber dennoch durchgesetzt werden. Wider besseres Wissen. Warum? Um Leute an einen starken Staat zu gewöhnen, der ihnen Halt und Sicherheit verspricht. Das in einer Zeit, in der er bei den eigentlich existentiellen Themen versagt. Es wird uns versprochen, vor Terror geschützt zu werden, aber nicht vor Arbeitslosigkeit und Verarmung. Für das eine werden Mittel eingesetzt, wird das Grundgesetz in Frage gestellt, das andere ist allenfalls störende, populistisch auszunutzende Debatte über Sozialschmarotzer.

Wir werden „geschützt“ vor Bedrohungen, die man uns einreden muss. Wir werden Bedrohungen willentlich ausgesetzt, die uns krank machen, die Leute in den Selbstmord treiben. Wie gesagt – ich denk da nicht mal, dass das alles mit gekaufter Politik zu tun hat. Es braucht da viel mehr Bewusstsein an der Basis. Das finden viel zu viele Leute noch gut und richtig. Damit will ich überhaupt nicht die Politik aus der Verantwortung nehmen, im gegenteil.Ich glaube nur nicht mehr dran, dass die Volksvertreter ihrer Verpflichtung zur politischen Willensbildung des Volks nachkommen, sondern inzwischen dazu geprügelt werden müssen. Prügelt sie dazu.

Dass momentan eine Disziplinargesellschaft durchgehauen wird, liegt dran, dass ihr Durchhauen möglich und strategisch sinnvoll ist. Es funktioniert. Foucaults Theorem, die Disziplinierung setze sich vom Rand der Gesellschaft, aus den Gefängnissen, den Psychiatrien, den Krankenhäusern, Schulen und Ausbildungsstätten der Gesellschaft durch, da hat er nen Treffer gelandet.

Die Zurichtung auf kapitalistische Verwertungsstrategien ist in dem Sinn nichts neues, das ist vergleichsweise ehrlich und direkt. Was grade spannender ist: die Botschaft, es gehe um das Wohlergehen aller, und die Methoden, womit das durchgesetzt wird. Und womit was eben *nicht* durchgesetzt wird. Es gibt „keine Denkverbote“ im Kampf gegen den Terror, aber einfach Ackermann enteignen, um ein paar HartzIV-lern den Selbstmord zu ersparen, denkt da jemand? Gehts da um grundlegende Fragen der Existenz und der Menschenwürde? Warum da Denkverbote?

Mein Eindruck, wie gesagt: es wird diszipliniert und zugerichtet, es wird „Normalität geschaffen“, und diese Normalität ist das Leben, mit dem wir trotz aller Flexibilität und Ausbeutungs- (oder Anpassungs-)freudigkeit klarkommen müssen.

Das kann man noch weiterspinnen. Ein wenig hab ich schon nebenan geschrieben. Ich denk, das ist komischerweise hochaktuell, ich vermutete eigentlich, dass ne Internet-Abschlussarbeit von 2000 schnell anstaubt. Ich freute mich ein paar Jahre, dass sie immer noch funktioniert, inzwischen machts mir Angst.

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6 Responses to Die Disziplinargesellschaft und ihre Anzeichen…

  1. ackerpaul sagt:

    der kuchen ist verteilt, die krümel werden knapp.

    wo dereinst noche in bismark’scher sozialstaat geholfen hat das elend der leute im zaum zu halten, scheint nun ein paradigmenwechsel anzustehen. „eure armut kotzt mich an“ schallt es aus den vip-lounges dieser welt. gelb-blaue fähnchen schwingend (wahlweise auch schwarze oder rote, grüne, und allerlei andere bunte farben sind dabei) verkünden survival-of-the-fittest-jünger, dass einE jedeR es schaffen kann. was ja abgesehen von der verfügbarkeit der verschiedenen kapitalformen (ökonomisch, kulturell, sozial) auch zutreffen mag, denn ausnamen bestätigen bekanntermaßen die regel! was also nicht in das bild der meinungsgeber passt wird unpassend gemacht. recht auf faulheit? opfer des „systems“? parasiten!

    und wehe, wenn jemand etwas anderes denkt, sagt, zu leben beabsichtigt. der kann nur ein feind der allgemeinheit sein und gehört abgehört, verboten, weg!

    schade eigentlich dass in unserer ach so weit entwickelten „demokratie“ aufklärung und kritisches bewußtsein noch immer ein prekäres dasein fristen und am lautesten die stimmen derer erklingen, die aus angst um ihren auf kosten anderer erworbenen wohlstand zu drastischen mitteln zu greifen drohen (und dies letztlich auch tun!) während sich der großteil der gesellschaft mit brot und spielen abspeisen lässt.

    ,… wirr, weil spät, das statement aber trotzdem: ab dafür!

  2. Oliver sagt:

    >ich glaube an die Denkfähigkeit der Entscheider.

    Der oft vernommene pauschale Ausdruck „dumm“ besitzt jedoch viele Facetten in der Praxis. „Intelligent“ genug, um die Strukturen zu sichern, wie von dir beschrieben, „dumm“ genug es auf diese Art und Weise zu tun.

    Das sind auch meine Worte, wenn auch anders gewählt, Schäuble beispielsweise bewegt sich innerhalb des Grundgesetzes, er lotet die interpretierfähigen Grenzen aus, was z.B. „dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ oder „der Sicherung des Bundes oder eines Landes“ in der Praxis entspricht (GG Art 10,11,35).

    >Um Leute an einen starken Staat zu gewöhnen, der ihnen Halt und Sicherheit verspricht.

    Da wir nicht alle den gleichen Kontext besitzen, vielleicht auch Furcht? Sicherlich kenne ich einige, auch aus meiner näheren Umgebung, die derlei Aktionismus „Stärke demonstrieren“ für gut befinden, andere aber auch werden starr und sehen den Staat überall. Man hat nie diese Sicherheit sich wirklich „frei“ bewegen zu können, je mehr man drüber nachdenkt, umso eher sieht man wie sich Grenzen auftun. Den einen wirds nicht stören, der andere wird zurückschrecken.

    >Die Risiken sind bekannt, dass es konkret nichts bringt, dito.

    En detail stimmt, durchleuchtet man denn einige vorgeschlagene Praktiken. Allgemein jedoch vernimmt man auch den Tenor, bringt eh alles nichts, die ganze Überwachung, aber da muß ich als Archäologe gehörig widersprechen – nur solange die richtigen Mittel nicht zur Anwendung kommen. Man könnte also auch in obigen Maßnahmen mehr sehen als nur Disziplinierung, diese ist natürlich notwendig um „Normalität“ zu schaffen, vielmehr könnte man es auch als einleitenden Schritt betrachten.

    Man kann wohl nicht alles brachial durchsetzen, „gut Ding will Weile haben“ – ergo auch hier. Man ebnet den Weg, Diszipliniert, bringt eine Art „Furcht“ vor der Allmacht des Staats unters Volk und ebnet den Weg für effektivere Dinge, die man im Volk mitunter übersieht, da man schon dran „gewöhnt“ ist. Rasterfahndung, ist nicht ineffektiv, der Wirkungsgrad entfaltet sich mit den richtigen Mittel, im Moment ist man da noch gefesselt. Aber last not least glaube ich dran, derlei Methodiken wende ich seit Jahren in der Archäologie erfolgreich an, von dort stammt die Methodik auch, wie viele Dinge der Kriminalistik.

    Kurzum, dein Text oben verkürzt: das macht Lust auf mehr beim Volk und das sehe ich als tatsächliche Gefahr an. Bringt nichts, Blödsinn, ach man kann eh nichts machen, der Staat ist ohnehin überall.

  3. Kamuflaro sagt:

    Vergleich zur Archäologie? Wer sind denn da die Opfer, wenn man Fehler macht?

  4. Oliver sagt:

    >Vergleich zur Archäologie? Wer sind denn da die Opfer, wenn man Fehler macht?

    Die Technik, das Prinzip, die Vorgehensweise – die Denkweise. Der Friedensapostel z.B. sieht militärische Dinge anders als z.B. der Befehlshaber selbst, vice versa gilt dies auch in diesem Bereich. Um es zu verstehen, muß man sich vom Jammern absetzen, wie Korrupt auch oben schrieb, und das ganze als intelligente Vorgehensweise betrachten. Ich sehe aber auch keine Opfer, wenn man sich denn willig zur Schlachtbank begibt, um jetzt mal bei dieser Terminologie zu bleiben. Die „Opfer“ nennt man dort auch Kolateralschäden, was auch die Denkweise verdeutlicht.

    In der Archäologie können die „Opfer“ teils hervorgerufen werden durch religiöse Eigenheiten, die stark im Islam zu Tage treten, aber auch im Christen-Ländle nicht völlig fremd sind. Die Archäologie Kamuflaro deckt übrigens nicht nur die Antike ab, sondern auch Mittelalter, jeden Zeitpunkt der Menschheit, selbst in diversen KZs arbeiten Kollegen an der Ermittlung von Daten, sprich waschechte Archäologen. Dort z.B. pocht man auch sehr wohl auf die Privatsphäre etc., logischerweise.

    Archäologie ist die Forensik des Vergangenen, quasi die Rastfahndung wie sie einige Politiker gerne vollziehen würden. Was z.B. der Soziologe im hier und jetzt veranstaltet, vollzieht der Archäologe mit Vergangenem. Daten sammeln, Daten analysieren, Zusammenhänge finden. „Vasen guggen“ etc. sind mehr die Bereiche der Kunsthistoriker. Ich hoffe ich bin jetzt nicht schon zu offtopic mit der Erläuterung, sorry Korrupt.

  5. Kamuflaro sagt:

    danke so habe ich das vorher noch nicht betrachtet…
    Zeit dem Ganzen einen Deckel zu verpassen, wie dem Clonen von Menschen.

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