Das eigentliche Google-Problem: das Web geht kaputt

So, der Versuch, was auf den Punkt zu bringen. Mich nervt das allgemeine Googlebashing, das genauer betrachtet oft genug das immergleiche Gejammer von Leuten ist, die die Entwicklung verpennt haben (siehe LSR). Fundierter wird die Kritik in der Richtung Verticals – je mehr gesuchte Info direkt auf der Google-Ergebnisseite erscheint (die Google eben von irgendwoher hat) und die Suchenden gar nicht mehr zum Gesuchten kommen, desto schwieriger wird es für die entsprechenden Seiten zu überleben. Wenn man mich aber fragt, was mir tatsächlich an Google unheimlich ist, dann ist es die Zerstörung der Struktur des WWW, die sich mir an sich weitgehend abgeschlossen scheint. Und während ich denke, dass das eher „aus Versehen“ begonnen wurde, so habe ich den Eindruck, dass es die letzten paar Jahre mit gezielter Absicht weiterbetrieben wurde.

Die zugrundeliegenden Gedanken haben sich andere schon gemacht, ich umreiss es daher nur kurz. Der Link wurde zur „Währung“ im Internet, der Reputation und Rankings beförderte. Wer gelinkt wird, ist relevant. Wer nicht, der nicht. Mit diesem Rankingfaktor schaffte es Google, als Suchmaschine deutlich besser zu sein als andere und eine vollkommen verdiente Marktführerschaft zu gewinnen. Und natürlich eine Latte Leute auf den Plan zu rufen, die das Prinzip bespielten und mit Linkfarmen, Spambots, elaborierten Backlinkstrukturen und Linkjuicekanälen den Algo austricksen wollten. Ein paar Jahre Katz und Maus später haben wir aktuell eine Hauptfolge: der Großteil der manipulativen Taktiken ist tot, der Rest wird folgen – und eine Nebenwirkung: kaum jemand linkt mehr.

Irgendwann wurden Links neben dem Verweis auch (und dieses *auch* ist wichtig, denn sie waren und sind es eben nicht nur, auch wenn das die inhärente Logik hinter dieser Bewertung durch Google ist) zu einem geldwerten Vorteil, den man nicht mehr einfach so verteilte. Das war der Google-Effekt, der einen ohnehin im Rahmen der Kommerzialisierung des Webs begonnenen Trend nur verstärkte – Links wurden ohnehin schon gemieden, wenn man dachte, dass man damit die Leute von der eigenen auf die Seiten anderer schickte, und warum sollte man das tun? Aus durchaus guten Gründen – weil auch andere Seiten gute Infos bieten, weil nicht überall das komplette Rad immer neu erfunden werden muss, weil es den Besuchern weiterhilft, weil man selber – man denke an Wikis – die entstehenden Text/Linkstrukturen so weiternutzen kann, Himmel, eben zur Kollaboration und dem „In Beziehung setzen“ von Informationen wurde das ganze Konzept Hypertext seinerzeit erfunden.

Wenn nun ein Gutteil der kommerziellen Seiten im Web die Verlinkerei zurückfahren, so what. Wenn sie auf der anderen Seite mit den zur Verfügung stehenden Mitteln Links zu sich animieren, dito. Denn – und hier sind wir wieder beim obigen „auch“ – wer bei dem Spielchen nicht mitmachen will, konnte es halten wie der auf dem Dach. Wenn die Kommerznoobs im Netz nicht extern linken, weil ihnen die Muffe geht, ein Leser könnte ja klicken und kommt nie wieder, dann sollen sie halt. Wenn mich das Spiel nicht interessiert und ich meine Blogroll mit Nachbarn fülle, Himmel, wenn ich mir direkt den Feedreader spare mit Teasern ihrer neuesten Posts in meiner eigenen Sidebar, dann so what. Lange Zeit war die Faustregel schlicht, dass ein Link im schlimmsten Fall eben niemandem was bringt.

Seit einiger Zeit nun hat Google diese Faustregel abgesägt. Anil Dash konstatierte das Grundproblem bereits 2007. Money Quote:

„Connecting PageRank to economic systems such as AdWords and AdSense corrupted the meaning and value of links by turning them into an economic exchange. Through the turn of the millennium, hyperlinking on the web was a social, aesthetic, and expressive editorial action. When Google introduced its advertising systems at the same time as it began to dominate the economy around search on the web, it transformed a basic form of online communication, without the permission of the web’s users, and without explaining that choice or offering an option to those users.“


Ich sehe seinen Punkt, ich würde mich aber schon durchaus mit dem nachgelagerten Sündenfall zufriedengeben, den ich bei Punkt 3 und noch nicht notwendigerweise Punkt 1 sehe:

Schritt 1: Links werden Währung (bereits schwierig) ->
-> Schritt 2: Links sind mehr/weniger/nichts wert (kein Problem) ->
-> Schritt 3: Links können schaden (extrem schwierig) ->
-> Schritt 3, konkrete Rahmenbedingung: Es wird nicht verraten, welche (Sündenfall)

„Sündenfall“ definitiv in der gewählten Rahmenbedingung, aber tendenziell auch unabhängig davon am Schritt drei – denn dadurch, dass ein Link schaden kann, mischt sich Google wertend und gegebenenfalls drastisch benachteiligend in die Angelegenheiten Dritter ein, die mit dem ganzen Zirkus schlicht nichts am Hut haben (wollen). Wäre das transparent, könnte das Problem noch in Teilen entschärft werden: man könnte Klartext reden oder zumindest sagen, darauf lass ich mich ein und darauf nicht. Man könnte bei Bedarf Klarheit kriegen, ob und wie einen hier ein Problem überhaupt betrifft und ob man was dagegen tun will. Es herrscht aber eben das Unwissen wie vom großen, geheimnisvollen G gewünscht. Und alle werden gezwungen, sich irgendwie dazu zu verhalten.

Um die Problematik konkret zuzuspitzen:

Wenn ich 200 Leute auf Facebook befreunde, bin ich gut vernetzt. Wenn ich 200 Leute in meiner Blogroll verlinke, bin ich eine Linkspamschleuder. Dass die 200 Leute in der Freundesliste guter Durchschnitt und die 200 Blogroll-Links seltene Ausnahme sind, liegt längst nicht allein an Google, geschenkt. Aber *die* Leute, die eben einen Dreck auf große Social Media-Netze geben und die Bloglandschaft weiter im „ursprünglicheren“ und „Social“-Sinn verwenden wöllten, die können heute recht sicher sein, irgendwann mal besorgte Abfragen um Linkrückbau zu kriegen. Warum? Weil es dem großen G gefällt, alle im Unklaren zu lassen, welche Links seine Gunst haben und in seinem Glanz bestehen dürfen und welche nicht. Wenn ichs so hintippe, hats tatsächlich was puritanisches. Man weiss nicht genau, woran es nun exakt immer liegt, aber die einen finden offenbar Gnade und die anderen nicht und man muss sich eben stetig mühen und die Fallstricke nach Möglichkeit meiden. Für die Details muss man sein Gewissen erforschen, aber die letzte Wahrheit liegt beim großen Google. Und das kann auch verdammt falsch liegen, himmel nochmal. Ich hab es bisher einmal drauf ankommen lassen, bei einem Kunden einen Link explizit stehen zu lassen, den Google als Beispiel für manipulierende Links mitschickte und eine sehr gesittete Variante von „Ihr habt doch den Schuss nicht gehört, wenn irgendwas ein natürlicher Link ist, dann doch wohl der!“ in den nächsten Reconsideration Request geschrieben. Er kam durch. Tja, sowas.

Und wenn ich dann gelegentlich sehe, wie Leute ohne größeres Hintergrundwissen mal komplett alles in den Webmastertools entwerten, was irgendwo in der Ecke einer Backlinkliste auftaucht, oder wie mal global alles angeschrieben wird, was je mal verlinkt hat, weil Meister Google möglicherweise strafen könnte, oder Himmel, was ich gelegentlich für verwunderte Antworten kriegte, wenn ich Seiten anschrieb, wo ich dachte, „verdammt, es sieht halt einfach gekauft *aus* und es wird Google gekauft *vorkommen* und nichts wird sie davon abbringen, was anderes zu glauben“ – dann wundert mich nichts mehr. Und natürlich sprichts sich rum.

Zurück zum Beispiel. Google ignoriert die Facebook-Freundschaften, darüber sind die Weisen im Groben einig. Und kaum wer macht sich Gedanken, ob es nun gut oder schlecht sein könnte, jemanden auf Facebook zu adden. Wobei, schon, aber eben nicht aus direkt google-, facebook- oder netzbezogenen Gründen. Dieselbe „Muss mich nicht beschäftigen“-Attitüde hätte ich gern beim Linken, allein, die Zeiten sind rum. Selbst und *gerade*, wenn ich jemanden/etwas/whatever mag, muss man sich auf einmal überlegen, wie empfehle ich den, weise auf ihn hin, äußere ich mich dazu, ohne *Schaden* zu verursachen. Und diese Denke ist zutiefst kaputt.

Bogen zurück: und das nehme ich Google übel, und das halte ich an sich die drastischste Folge, die Googles Vormachtstellung auf dem Suchmaschinenmarkt akut hat. Die Ursache ist, dass Google über Gut und Böse (insbesondere das Böse!) eines Links entscheidet und alle mitspielen müssen, aber eben nur unvollständige Informationen haben. Hier zu sagen, dass eben Strafe sein muss, kann man sich dann und nur dann erlauben, wenn es sonst keinen betrifft, und das ist im konkreten Fall absolut nicht gegeben.

Alternativen gibts genug: wenn Google schon genau weiß, welcher Link Gut(tm) und welcher Boese(tm) ist, dann können sie auch direkt einfach die bösen ignorieren und prompt haben sie die „unbiased“ Rankings, die sie wollen. Aber nein, sie schmeißen FUD mit maximaler Reichweite und nehmen Kollateralschäden und -verunsicherung billigend in Kauf. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, sie nehmen sie gerne in Kauf, denn zufälligerweise profitiert ja eine gewisse Suchmaschine davon, je weniger man sich im Netz von Seite zu Seite klicken kann und stattdessen bei jeder Erwähnung einer interessanten Weiterles-Quelle eben jene *suchen* muss. Ironischerweise heißt es ja, dass „Mentions“ – unverlinkte Nennungen einer Domain – durchaus positive Googleauswirkungen haben können. Klar – schon alleine, weils Relevanz vermittelt, wenn eine Domain gegoogelt wird.

Hier beginnts mich dann richtig anzukotzen. Und bitte komm keiner und sage, dass das ja wohl das Problem einer kleinen, ohnehin recht halbseidenen Randgruppe im Netz ist. Die Art und Weise, wie Google die Existenz Böser(tm) Links aufs Netz losgelassen und direkt die Behebung dieses Problems durch allgemeines Crowdsourcing eingefordert hat, auf eine maximal streuwirkungsintensive Art, die funktioniert so, dass es wirklich alle mitbekommen, die mal mehr im Netz gemacht haben als ein Account bei Blogspot anlegen.

Das ist nun natürlich schwerer vermittelbar als „Google macht die Zeitungen kaputt“, und selbst die dortige, vergleichsweise triviale Problematik scheint ja zu komplex, um sie einigermaßen realitätsnah dort zu diskutieren, wo das irgendwie reguliert werden soll. Insofern, well, we’re fucked.

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